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„Frontalangriff auf den Sozialstaat“: Armutsforscher entsetzt über Bürgergeld-Debatte (Politik)

Ulrich, Samstag, 09.12.2023, 15:04 (vor 745 Tagen) @ CrimsonGhost

Ist aber auch ein tolles Narrativ geworden.
Bürgergeld, so der Anschein, ist das Zuwanderungsmagnet schlechthin. Der andere Teil der Beziehenden wurde über Media-Formate als hinreichend dumm/faul/selbst Schuld dargestellt. Der vermeintliche Kreis um die Empfangsberechtigten ist also gezogen.
Auf der anderen Seite klagt - nicht zu Unrecht - der arbeitende Teil der Bevölkerung, dass das Netto-Einkommen dann unter dem Bürgergeld liegt, wenn Miete, Nebenkosten und z.B. Eintrittspreise voll selbst zu tragen sind.
Und klar - was sage ich dann Tante Erna, die 160 Stunden / Monat „für weniger“ arbeiten geht?
Gibt reichlich Ernas, die bei der nächsten Wahl dem Trugschluss erliegen könnten, ein bisschen Protest gegen die Oben könnte eine gute Idee sein.


Mit einem Vollzeitjob hat man auch mit Mindestlohn immer noch deutlich mehr als ein Bürgergeldempfänger zur Verfügung. Allerdings ist das Hauptproblem eben, dass viele Jobs für die Belastung und den Aufwand deutlich unterbezahlt sind. Der Abstand zwischen Bürgergeld und Mindestlohnjobs ist immer noch viel zu niedrig. Das Problem liegt aber nicht daran, dass das Bürgergeld zu hoch ist, sondern die Löhne in vielen Branchen viel zu niedrig. Gleichzeitig machen Unternehmen Rekordgewinne und schütten Dividenden an Leute aus, die nicht einen Finger krumm gemacht haben, für diese Unternehmen. Das Geld wird massiv von unten nach oben verteilt. Und in der Krise wird gegen Minderheiten gehetzt, seien es Flüchtlinge, Migranten, finanziell schwache Menschen, queere Menschen, Muslime, Juden, etc., weil eben die Mehrheit nicht zu diesen Leuten gehört und das Sündenbockspiel so wunderbar funktioniert, damit die entscheidenden Probleme, die eben die Verteilung des Geldes von unten nach oben zementieren, nicht angepackt werden.

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals in einem relativ kurzen Zeitraum so viele offensichtlich falsche Berechnungen gesehen zu haben. Falsche Berechnungen, die nur zu einem Zweck erstellt worden sind. Sie sollen "belegen", dass Bürgergeldempfänger mehr Geld als Personen erhalten, die im unteren Einkommenssegment tätig sind. Hier wird ganz massiv nach unten getreten. Viele dieser Milchmädchenrechnungen kommen von Union und FDP. Und ganz vorne weg marschieren Friedrich Merz und Markus Söder.

Ich gehe davon aus, dass die Sozialpolitikerinnen und Sozialpolitiker in der Union seit Monaten mit geballter Faust in der Tasche herum laufen. Wie viel man in dieser Frage von der eigenen Führung sieht, kann man hieran erkennen:

Gegen den Willen von Friedrich Merz: Auch Unionsländer stimmen für Bürgergeld-Erhöhung 2024 (Tagesspiegel)

Faktisch ist das ein Affront gegen den eigenen Großen Vorsitzenden, eine schallende Ohrfeige.

Was das Bürgergeld als angeblichen "Pull-Faktor" für Flüchtlinge angeht, so geht der ganz überwiegende Teil derjenigen, die sich mit dem Thema wissenschaftlich beschäftigen davon aus, dass diese These nicht stimmt. Es gibt andere Gründe, die für Flüchtlinge weitaus schwerer wirken. Z.B. das Vorhandensein einer Community von Landsleuten, Schulen für die Kinder, die Chance auf einen Job, etc.

Auch beim Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge werden wichtige Fakten weitgehend ausgeblendet. Ein großer Teil dieser Menschen ist gar nicht im Erwerbsalter, sondern zu alt oder zu jung. Vielfach sind ältere Menschen sowie Kinder mit ihren Müttern gekommen. Aktuell zahlt der Bund die Leistungen für diese Personen. Fielen sie aus dem Bürgergeld heraus, dann müssten die Aufwendungen für sie von den Kommunen finanziert werden. Die aber sind dazu nicht in der Lage. Unsere Gemeinde mit ca. 9.000 Einwohnern beispielsweise ist in der Haushaltssicherung. Im nächsten Jahr bekommen wir ca. 700.000 Euro an Landeszuweisungen weniger, die Kreisumlage ist um 500.000 Euro erhöht worden. Für die Unterbringung von Flüchtlingen müssen wir voraussichtlich zusätzlich eine Million Euro für eine Containerlösung oder ähnliches in die Hand nehmen. Ab dem Schuljahr 2026/2027 haben Eltern von Grundschulkindern einen Anspruch auf eine Ganztagsbetreuung. Wir haben zwei Grundschulen in der Gemeinde. Bei der kleineren der beiden kostet die Erweiterung voraussichtlich über 3.000.000 Euro, bei der größeren haben wir noch keine belastbaren Zahlen. Vom Land allerdings bekommen wir voraussichtlich für beide Schulen zusammen einen Betrag von 300.000 bis 400.000 Euro. Bereits 2024 wird unser Kämmerer nicht in der Lage sein, einen genehmigungsfähigen Haushalt aufzustellen. Ähnlich geht es sehr vielen anderen Kommunen in NRW.


Und dieses populistische, dumme Sündenbockspiel spielen Union und AfD im Moment.

Bitte die FDP nicht vergessen. Aber die wird genau so wenig profitieren wie CDU oder CSU. Gewinnen werden nur die AfD und in Bayern zusätzlich ggf. die Freien Wähler.


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