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Ex NATO-Strategin Stefanie Babst hält den Umgang von NATO und Europäischer Union mit Russland für hochgefährlich. (Politik)

FourrierTrans, Dortmund, Donnerstag, 25.04.2024, 18:33 (vor 9 Tagen) @ Gargamel09
bearbeitet von FourrierTrans, Donnerstag, 25.04.2024, 18:53

Welche Strategie am Ende erfolgreicher ist, zeigt die Geschichte, im hier und jetzt hat diese Strategie jedoch dazu geführt, dass Putin 2 Jahre in der Ukraine wütet und kein Ende in Sicht ist. Putin im vorhinein schon Grenzen aufzuzeigen, wäre u.U. erfolgreicher gewesen.
Schon die Geschichte lehrt uns, den Aggressor erst mal machen zu lassen, war weder im 2 WK erfolgreich, noch jetzt und am Ende kostet es viel mehr Menschenleben, als bei einem frühen Grenzen aufzeigen der Fall gewesen wäre.
Man hat es nicht mal probiert, außer mit Sanktionen gedroht, das hat den natürlich nicht davon abgehalten, es zu riskieren, in die Ukraine einzumarschieren.

Putin und seine Armee war in 2022 weit davon entfernt, wirklich kriegstauglich zu sein, was die Ukraine rund um Kiew und im Herbst 2022 deutlich gemacht hat, nun ist es zu spät. Jetzt heißt es nur noch, wer hat den längeren Atem


Die Geschichte lehrt uns aber auch, dass die genau gegensätzliche Strategie durchaus ebenso in die Katastrophe führen kann. So wie die "immer noch eins draufsetzen"-Abfolge vor dem 1 WK zum Großen Krieg und ins Verderben führte.

Ganz generell gesprochen finde ich es sehr gut, dass man sich politisch über diese Themen austauscht und auch gegensätzliche Meinungen dazu haben kann. Auch Menschen, die keinen militärischen Hintergrund haben, die sich aber dafür interessieren oder sich darüber aktiv infomieren. Problematisch finde ich, dass es zunehmend Menschen gibt, wie z.B. die hier rezipierte Person, die noch nie selbst auf "dem Feld der Ehre" gedient haben, aber als etwaige Berater und Sicherheitsexperten medial auftreten und dies in ihrer Rhetorik dann in einer Art Mischung aus v. Clausewitz und General Patton vortragen. Sicherlich muss man nicht zwangsläufig selbst "im Feuer" gestanden haben, um fachlich bewandert zu sein, dennoch mutet so ein "Ernst-Jünger-Auftritt" für mich immer etwas skurill an. Darüber hinaus ist es vermutlich auch fraglich, ob die Kinder der Majors, Babsts und co. dann als Stoßtruppenführer die Worte ihrer Eltern tapfer in Taten umsetzen werden, wenn es knallt oder doch eine rote Linie dann zu rot war, die man vorher anders interpretiert hat. Oder ob diese dann doch aus dem New Yorker oder Londoner Exil das Sterben beäugen.
Aber das ist ja in der Diskussion erst einmal nebensächlich.

Viele Dinge in diesem Interview sind wohl richtig, einige davon aber fachlich völlig unzureichend oder sogar fehlerhaft. Um mal die vier eklatantesten Fehler rauszupicken.

1. Sicherheitspolitik oder Verteidigungspolitik sind keine losgelösten oder autonomen Faktoren. Sie gehen einher mit einer ganzheitlich zu betrachtenden Geopolitik. Und da muss man in aller Deutlichkeit festhalten, dass Europa und insbesondere Berlin, nach dem Tode von de Gaulle und Adenauer ein zu 100% auf US-amerikanische Interessen ausgerichtetes Europa geworden ist. In jeder elementaren Frage bedarf es eines "alignments" mit Washington. Das ist auch heute noch so und es ist vermutlich sogar teilweise noch stärker, als vor 30 Jahren. Es gibt ganz klare Indizien dafür, dass Washington die Russen
a) in einem langfristigen Abnutzungskrieg gebunden sehen will
b) gelegentlich größte Sorgen vor dem Einsatz taktischer Nuklearwaffen Russlands hatte, z.B.

im Oktober 2022 und dem sogenannten "russischen Dünkirchen" (geklaut von Oberst Reisner). Hier standen 30.000 russische Soldaten mit dem Rücken zum Dnepr, vor ihnen eine sich in der Offensive befindende ukrainische Armee. Die Lage der russischen Verbände war völlig aussichtslos, die verbliebenen drei "rettenden" Brücken über den Fluss standen unter Dauerbeschuss von HIMARs und dementsprechend kurz vor ihrer Zerstörung. Von jetzt auf gleich kommt es dann zu einer Situation, in der das Feuer der HIMARs von ukrainischer Seite eingestellt wird, die Bodentruppen ihr Tempo verringern, und 30.000 russische Soldaten incl. 2.500 Fahrzeugen seelenruhig in der denkbar exponiersteten aller Lagen über den Fluss zurückweichen. In genau dieser Lage war die große Sorge im Weißen Haus, was passieren würde, wenn man die Russen hier vernichtend schlagen würde, Putin den Brückenkopf Cherson verliert und somit ein ganz eindeutiges Momentum schaffen könnte, dass dann nicht nur das Hinterland von Cherson, sondern auch die Krim fiele (stattdessen versucht man lieber weiter die Strategie "boiling the frog", also den Russen langsam im Kochtopf verbrennen lassen). Eindeutig gab es hier Absprachen zwischen der US-Regierung und Kiew, um diese Situation nicht entstehen zu lassen. Putin hatte hier den Finger schon auf dem Knopf, laut NYT, und gebremst hat das Weiße Haus, nicht die NATO oder Europa.

All das wird von Frau Babst gänzlich missachtet oder sie weiß es einfach nicht besser.

2. Die Aufgaben der NATO und der Zweck scheinen ihr nicht klar zu sein. Sie sagt, "Die NATO will nicht Kriegspartei werden, sie ist zu ängstlich, um mit der Ukraine Beitrittsgespräche zu beginnen, und sie kann nicht sagen, wie sie Sicherheit jenseits des NATO-Territoriums in Europa wieder herstellen will."
Es liegt überhaupt nicht im Scope der NATO, Sicherheit jenseits des NATO-Territoriums zu gewährleisten oder wiederherzustellen, sondern als Verteidigungsbündnis geschlossen und unverzüglich zu reagieren, sollte ein ausländischer Aggressor das Staatsgebiet eines Bündnismitglieds attackieren. Dass die Ukraine nicht dazuzählt, ist äußerst bitter für die Ukraine. Man kann sich auch die Frage stellen, ob es ein strategischer Fehler war, sie nicht vor Jahren schon aufgenommen zu haben. Seriös beantworten kann das im Nachgang niemand mehr, denn für jeden russischen Präsidenten ist eine Ukraine außerhalb des eigenen Einflussbereichs der Super-GAU und eine Eskalation wäre da auch vor Jahren im Zuge dessen durchaus denkbar gewesen.

3. Mehrfach spricht sie von einer mangelnden Abschreckung für Putin, aufgrund des aus ihrer Sicht zu geringen Engagements in der Ukraine. Das eine hat mit dem anderen rein gar nichts zu tun. Selbstverständlich weiß Putin, dass die Hölle losbricht, sollte er auch nur einen Fuß nach Polen setzen oder sollte auch nur ein Schuss in Litauen fallen. Alles, was hier passiert, dass die Ukraine seit zwei Jahren in der Lage ist, den Russen in Schach zu halten, passiert außerhalb des NATO-Gebiets und ist für sich alleine genommen schon ein außerordentlich fettes Ausrufezeichen, zu was die NATO mit angezogener Handbremse in der Lage ist. Führungskräfte der chinesischen Volkspartei, die offenbar eine solidere Ausbildung in Sicherheitspolitik genossen haben als die Autorin, lachen sich zunehmend schlapp über Putins jämmerliche Versuche, die Ukraine zu erorbern, ohne dass ihm auch nur ein NATO(US)-Soldat gegenübersteht.

4. Scheint sie offenbar keinerlei Verständnis davon zu haben, was Europa militärisch in der Lage ist, zu leisten. Sie sagt, nachdem die Rede von deutschen Ministern ist, "Wenn wir wollten, könnten wir die Ukrainer morgen in die Lage versetzen, Russland massiv militärisch unter Druck zu setzen. Aber unsere politischen Entscheider tun es nicht." In welchem Command&Conquer-Spiel hat die Frau Sicherheitspolitik gelernt? Europa alleine ist, Stand heute und bis in mindestens 5 Jahren, eigenständig und ohne die USA nicht nur nicht in der Lage, Russland "massiv militärisch unter Druck zu setzen", wir wären ohne die USA nicht mal in der Lage, den Ukrainern zu helfen, die Front zu halten und Kiew zu schützen. Was auf den o.g. ersten Punkt zurückgeht. Insbesondere die Bundesrepublik Deutschland ist nach dem Kalten Krieg zur wohl demilitarisiertesten Region der Erde geworden (zieht man die Truppen und das Gerät der US-Army ab).

Alles in allem ein fachlich äußerst schwaches Interview, was lediglich durch Emotionalität besticht. Den Churchill, den sie seit zwei Jahren, wie sie sagt, vergeblich sucht, hätte sie als theatralisches Mädchen zur Seite geschoben, die der Lösungsfindung nicht dienlich ist.


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