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Und mit einem Male (BVB)

Will Kane, Biosphärenreservat Bliesgau, Sonntag, 04.11.2018, 23:22 (vor 2605 Tagen) @ Ravenga

Konnte auf Deine Frage nicht vorher antworten, da ich Deinen post erst jetzt gesehen habe. Sorry.

Der 1. FC Saarbrücken ist für mich ein Paradebeispiel für vieles, was in der Regionalliga schief läuft. Zum einen ist es so, dass der Kader aus Vollprofis besteht. Das bewerte ich weder positiv, noch negativ. Erklärtes Ziel der Vereinsführung ist es, irgendwann wieder in der Bundesliga zu spielen. Dann muss man wahrscheinlich auch über einen Profikader verfügen. Außerdem ist dies bei den Ligakonkurrenten genauso. Amateure gibt es da nicht. Ob man allerdings seit Jahren mit Abstand das höchste Budget der Liga für den Kader vorhalten muss, ist eine andere Frage. Ein Trainer wie Dirk Lottner wird auch nicht für ein Butterbrot im Saarland arbeiten. Dabei funktioniert es mit dem Aufstieg in die 3. Liga mit schöner Regelmäßigkeit nicht. Sei es, weil man in der Relegation scheitert oder weil man diese gar nicht erst erreicht. Dieses Jahr steigt der Meister direkt auf. Fraglich, ob man dies schaffen wird. Waldhof führt momentan mit einigem Abstand und beim FCS läuft es nicht wirklich rund. Ein wenig mehr Bescheidenheit wird man aber auch im Falle eines Nichtaufstiegs in der nächsten Saison nicht erwarten dürfen.

Interessant ist es, wie ein Verein ohne große Einnahmen bei einem Zuschauerschnitt von vielleicht 5.000 (vor den Umbaumaßnahmen) dies alles finanzieren kann. Nun, der Verein befindet sich seit Jahr und Tag in völliger nicht nur finanzieller Abhängigkeit vom Hauptsponsor, der auch Präsident ist. Ein Unternehmer, der eine Hotelkette und eine Kette von Seniorenheimen betreibt. Um nicht falsch verstanden zu werden, Unternehmer sind das Rückgrat unseres Wirtschaftssystems und nicht nur als Arbeitgeber wichtig, sondern auch für die Finanzierung der Sozialsysteme. Auch als verantwortungsvolle und mit Augenmaß agierende Sponsoren und Vereinsverantwortliche können sie ein Segen sein. Sie können aber auch ein Fluch sein. Bei jemandem, der ausstehende Sozialbeiträge Minuten vor Ablauf der letzten Zahlungsfristverlängerung beim zuständigen Finanzamt mit einem Koffer voller Bargeld bezahlt (hoher einstelliger Millionenbetrag) darf man da schon einmal skeptisch werden.

Das ganze erhält erst die richtige Würze durch die im Saarland übliche und traditionelle Verquickung von Sport und Politik. Jahrzehntelang bestimmten Politiker als Funktionsträger die Geschicke des Vereins. SPD und CDU schön austariert. Im Parlament streitet man sich, im Verein mauschelt man gemeinsam. ‚Ich kenn einen, der einen kennt, der einen kennt’ heißt die saarländische Variante dessen, was andernorts als Klüngel, Genossenwirtschaft oder Amigotum bekannt ist. Und besagter Unternehmer an der Spitze des Vereins. Seit längerer Zeit FDP-Mitglied, früher SPD/Jusos. In seinen Unternehmungen findet sich rein zufällig dann auch als Angestellter oder in beratender Funktion aus jeder Partei ein (meist Ex-)Politiker, der gut in der eigenen Partei, Politik und Verwaltung ‚vernetzt‘ ist, wie man Klüngel heutzutage politisch korrekt umschreibt. Und ist er nicht direkt dabei, dann bekommt er Selbständiger halt einen netten kleinen Auftrag von einem der Unternehmen. Als Grüner lebt man auch nicht von Windkraft allein. Besagter Unternehmer hat es auch schon in den SPIEGEL geschafft. Ein größerer Artikel über ihn war übertitelt mit ‚Der Pate von der Saar‘. Dabei ging es um das Zustandekommen der ersten ‚Jamaika‘-Koalition in der deutsche Politik auf Lönderebene.

Der Neubau des Stadions ist eine weitere schöne Geschichte. Der alte Ludwigspark (wie alte Saarbrücker erzählen gebaut auf etlichen Tonnen Schutt der ausgebombten Stadt) war in die Jahre gekommen, ein Stadion mit Laufbahn, z.T. bereits verrottet. Der Gästeblock wurde schon lange nur noch teilweise geöffnet. Handlungsbedarf wat vorhanden, vor allem wenn man von Aufstiegen träumt. Bescheidenheit oder Realitätssinn waren bei den Vorstellungen hinsichtlich eines neuen Stadions und seines Standorts entsprechend Mangelware. In irgendeinem Kommunalwahlkampf hatte die SPD-Oberbürgermeisterin dann die gloriose Idee, dass das neue Stadion jetzt gebaut werden solle, just am gleichen Standort wir das alte. Da wollte die CDU-Ministerpräsidentin natürlich nicht zurückstehen. Fußballfans sind schließlich auch Wähler. Schließlich einigte man sich darauf, dass das neue Stadion 16 Mio € kosten solle. 10 Mio würde das Land, 6 die Stadt übernehmen (können auch 12 und 4 gewesen sein). Der Verein hat kein Geld und sollte als zukünftiger Hauptmieter von Anfang an nicht zur Finanzierung herangezogen werden. Richtig lustig an der ganzen Sache ist nur, dass weder das Land, noch die Stadt über dieses Geld verfügt. Das Saarland befindet sich seit langer Zeit in einer Haushaltsnotlage und muss jeden Cent mehrfach umdrehen. Die Stadt Saarbrücken steht seit Jahren unter Haushaltsaufsicht des Landes. Jeder Haushalt muss vom Land genehmigt werden und einfach Kredite aufnehmen geht nicht, da man quasi überschuldet ist. Aber wo kein Geld ist, der Realitätssinn fehlt und die Visionen groß sind, da findet sich immer auch ein politischer Weg, um ‚Sonderkredite‘ zu ermöglichen. Man gönnt sich ja sonst nichts.

Mittlerweile wird der alte Ludwigspark abgerissen und die Kosten werden auf über 30 Mio veranschlagt. Wobei man schon im Vergleich zum ersten Planungsentwurf tatsächlich abgespeckt hat. Das integrierte Konferenzzentrum ist fallengelassen worden und auch bei den zur Vermietung an zahlungskräftige Gäste gedachten VIP-Logen hat man den ‚Rotstift‘ angesetzt. Beim Fassungsvermögen von 30.000 Zuschauern war man ja von vornherein bescheiden...

Ich könnte noch weitermachen. Aber es reicht mir jetzt selbst. Vielleicht verstehst Du nun, warum ich lieber die Spiele der Saarlandliga besuche. Da gibt es noch viele gut geführte Vereine, deren Verantwortliche bodenständig und realitätsbezogen sind und wo man nicht mehr ausgibt, als man einnimmt. Und wo zwar taktische Finessen eher Mangelware sind, aber engagiert Fußball gespielt wird.


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