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3. Oktober. Da war doch was. (Sonstiges)

Will Kane, Biosphärenreservat Bliesgau, Freitag, 03.10.2025, 22:49 (vor 63 Tagen) @ DieRoteKarteZahlIch
bearbeitet von Will Kane, Freitag, 03.10.2025, 22:57

Tag der deutschen Einheit!

In den Nachrichten werden Umfragen präsentiert. "Mehrheit ist mit der Wiedervereinigung zufrieden". Gut. Was seien die positiven Seiten? "Reisefreiheit / Wegfall der Mauer; Vereinigung zu gemeinsamen Volk; Demokratie / politische Freiheitsrechte". Schön.

Ich find es nicht anstößig, wenn jeder zunächst auf seine Situation schaut, und diese mit dem Nachbarn vergleicht. Sachsen-Anhalt hat noch einen langen Weg vor sich, wenn es dahin kommen möchte, wo Bayern bereits ist. Trifft auf Schleswig-Holstein im übrigen auch zu.

Bei den ganzen Vergleichen (die man Tagelang ausdiskutieren kann wenn man mag), sollte der Blick aber auf Europa nicht fehlen. Willy Brandt erkannte schon damals: Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört: Das gilt für Europa im Ganzen.

Hier ein Dank auch an Gorbatschow. Er soll Weizsäcker gegenüber geäußert haben (bzgl. seines angeblichen Zitats "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben"), es seien die Geschichte und das Leben, die die Dinge entscheiden. Wer darauf nicht achte und reagiere, sondern sich selbst zum Herrn der Entwicklung machen wolle, werde dafür bestraft. Seine Sätze behalten auch heute Gültigkeit wie ich finde.

Wir können durchaus Stolz sein, auf die Wiedervereinigung. Es gab der Welt von Asien bis Afrika Hoffnung. Führte zum Euro (auch aufgrund von Bedenken Frankreichs hinsichtlich eines erstarkten Deutschlands). Und zu Frieden in Europa. Es wäre schade, wenn wir uns irgendwann nicht mehr daran erinnern.

Ich war heute in Saarbrücken auf dem Bürgerfest zum Tag der deutschen Einheit. So wie vor 16 Jahren bereits.

Insgesamt eine nach meinem Eindruck gelungene Veranstaltung, bei der die deutsch-französische Freundschaft einen besonderen Aspekt darstellte. Was sich aus der spezifischen Geschichte und Lage des Saarlandes erklärt.

Wie schon vor 16 Jahren fand ich es nur schade, dass der Rolle der Opposition in der DDR im Prinzip keine große Bedeutung beigemessen zu werden scheint. Sicher, da gab es den Stand des Stasi-Archivs im Bundesarchiv und der Länderbeauftragten. Und per Zufall entdeckte ich noch den Mini-Stand der Robert-Havemann-Gesellschaft, die sich mit Mühe und Not die Standgebühren leisten konnte. Immerhin konnte ich mit einigen wenigen Standbesuchern interessante Diskussionen führen.

Die Wiedervereinigung am 03. Oktober 1990 und zuvor der Mauerfall am 09. November 1989 haben eine Vorgeschichte, die in Vergessenheit zu geraten scheint. Ich war am 13. November 1976 in Köln in der Sporthalle und am 19. November in der Ruhrlandhalle Bochum bei den Konzerten Wolf Biermanns zugegen. Stunden und Tage, die mein damaliges Linkssein entscheidend beeinflusst haben.

Biermann durfte seit über zehn Jahren wieder vor Publikum auftreten. Nicht in der DDR, in die er als Jugendlicher bewusst gegangen war und die er auch nicht verlassen wollte, sondern beim Klassenfeind in der Bundesrepublik. Die DDR-Führung hatte ihm die Ausreiseerlaubnis für eine Konzertreise erteilt, die auf eine private Initiative bundesdeutscher Universitätsdozenten zurückging. Und die Erlaubnis wurde nicht ohne einen perfiden Plan erteilt.

Zwischen dem Kölner und dem Bochumer Konzert lag die Verkündung der Ausbürgerung Biermanns durch die DDR-Regierung, weil er in Köln während des Konzerts angeblich die DDR verleumdet und ihr Schaden zugefügt habe. Die Inszenierung dieser Ausbürgerung war sorgfältig geplant und vorbereitet. Biermann war geschockt, erhielt Hilfe u.a. von Heinrich Böll. Lange war unklar, ob er in Bochum auftreten würde. Seine vorgesehenen Auftritte an der Ruhr-Uni wurden kurzfristig abgesagt, das Konzert in der Ruhrlandhalle fand dann doch statt. Allerdings war Biermann (verständlicherweise) nicht wiederzuerkennen im Vergleich zu Köln.

In der DDR fand als Reaktion eine so überraschende wie mutige Protestaktion diverser Künstler gegen die Ausbürgerung Biermanns statt. Die Repressalien, Zwang zum Rückruf und Ausweisungen prominenter DDR-Künstler zur Folge hatte. Das Regime hatte sich unbequemer Kritiker entledigt, welche die DDR als ihr Heimatland betrachteten und sie gar nicht verlassen wollten. Aber es war nur ein scheinbarer Sieg. Denn mit dieser Aktion war der Keim der friedlichen Opposition in der DDR gesät.

Ich persönlich habe sie sehr bewundert, diese mutigen Oppositionellen in diesem Unrechtsstaat. Was sie riskiert haben konnten die meisten Bundesrepublikaner gar nicht ermessen. Und manche wollten das auch gar nicht. Ohne diese Oppositionellen, die es ja eigentlich gar nicht hätte geben dürfen, wären die Proteste 1989 nicht denkbar gewesen, die dann zum Fall der Mauer und des DDR-Regimes geführt haben.

Leider haben diese Oppositionellen dann keine oder zumindest keine große Rolle bei der Wiedervereinigung gespielt. Wie sagte eine Frau heute zu mir, mit der ich über dieses Thema gesprochen habe: Vormalige Profiteure des Regimes haben ihre Hälse in jenen Tagen Ende 89 gewendet und haben dann in der größer gewordenen Bundesrepublik Karriere gemacht. In der Politik, in der Wirtschaft, in der Kultur, wo auch immer. Die damaligen Oppositionellen spielten keine Rolle mehr, es sei denn die des Feigenblattes. Und auch die gibt es heute kaum noch.

Tut mit leid, wenn ich ein wenig abgedriftet sein mag. Aber an diese mutigen Oppositionellen in der DDR zu erinnern gerade am heutigen Tag und unter dem Eindruck der Feier und der Diskussionen die ich heute geführt habe und meiner persönlichen Erinnerungen war mir ein Anliegen.


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