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Lanze für Favre (BVB)

Didi, Schweiz, Dienstag, 30.04.2019, 19:46 (vor 1826 Tagen)

2008 hat Jürgen Klopp bei uns einen Vertrag unterschrieben und aus dem Tal der Tränen geholt. Klopp war komplett. Ein Architekt, der es schaffte, dem BVB eine klare sportliche DNA zu verpassen. Ein Change Agent, der Störungen und Widerstände wegmoderierte oder weglachte. Ein Coach, der jeden Spieler etwas besser machte und ihn an seine Fähigkeiten glauben liess. Ein Wächter, der sich für seine Spieler und den Verein einsetzte – Napoli. Ein Diener für den Club und ein zweiter Vater für viele Spieler – Grosskreutz. Und Klopp war und ist nicht zuletzt ein Vorbild und Storyteller – ich glaube, er hat jeden in diesem Verein beeinflusst und wir alle haben diese Interviews inhaliert.

Und neben diesen wirklich komplett ausgeführten Rollen hatten Klopp und seine damaligen Mannschaften 2 Vorteile: Einerseits war man taktisch der Liga phasenweise um Meilen entrückt und andererseits war es eine Phase, in der die Bayern noch ordentlich für die Arena bluten mussten, was dazu führte, dass Leute wie Lell, Braafheid, Pranjic, Kraft oder Ottl eine ernsthafte Rolle im Kader der Bayern spielten. Hat jemand von diesen Spielern danach noch was gehört?

Als die Bayern dann aufrüsteten und den BVB plünderten, wuchsen die Vorsprünge und der BVB taumelte ordentlich. Platz 17 in der Vorrunde 2014/2015, weil Immobile nur wenig traf, die Mannschaft nach der WM müde war und Klopps Pressing vor allem dann Wirkung zeigt, wenn alle uneingeschränkt am Strick ziehen können. Kritik am Trainer? Eher Mangelware, viel Geduld. Wer schiesst schon auf die so stark mit dem eigenen Verein verwachsene Leader-Figur.

Dann kam Tuchel und wir spielten ganz anders und phasenweise auch erfolgreich und schön. Im Kader mit Gündogan, Aubameyang, Hummels, Miki und Reus jetzt auch nicht grade nur Blinde. Dann der grosse Aderlass, der mit Götze, Schürrle und Rode nicht aufgefangen werden konnte und der Ärger zwischen Watzke und Tuchel ging allmählich los, zumal letzterer schon sehr früh nicht verlängern wollte. Am Ende dann ein Pokalsieg, der im allgemeinen Ärger unterging und 18 Punkte Rückstand auf die Bayern und dies nach 10 Punkten Rückstand im Vorjahr.

Dann Magic Bosz und 8 gute Wochen. Stöger stabilisiert, die Augen schmerzen. Immerhin bleibt der Aderlass aus, aber die Fehlgriffe aus den Vorjahren belasten die Kasse ordentlich und so verlassen mit Castro, Yarmolenko, Schürrle, Sahin, Rode, Passlack, Durm, Sokratis und Weidenfeller immerhin 9 „ernsthafte“ Profis den Verein. Einen Mittelstürmer leihen wir uns für die Rückrunde und müssen Gott danken, dass der von der ersten Minute an trifft.

Ein neuer Stürmer kam dann mit Paco Alcacer in den letzten Tagen im August. Die Achse im Mittelfeld komplettierte ein gewisser Axel Witsel, der trotz WM eine unglaubliche Verfassung an den Tag legt und so stürmt man mehr oder weniger attraktiv durch die Liga und dies nicht zuletzt auch dank Alcacer, der jeden Ball versenkt und Witsel, der keinen Ball verlor. Als dann mit Hakimi noch ein Aussenverteidiger die gegnerischen Reihen das Fürchte lehrte, war der BVB kaum mehr zu stoppen. Glücklicherweise taumelten auch die Bayern und so waren wir dann gefühlt im Dezember schon Meister.

Der Trainer? Ungerne im Fokus. Die Pressekonferenzen kaum zu ertragen, die Entscheidungsprobleme schon bei einfachsten Fragen zu erahnen. Die Vorurteile aus Berlin? Sehr präsent, nicht immer untermauert. Dass er sowohl in Zürich, Berlin, Gladbach und Nizza mindestens zwei gute erste Saisons hatte? Nicht sonderlich von Belang. Aber kaum zu übersehen, dass er niemals diese 360 Grad als Führungsfigur abdeckt wie Jürgen Klopp. Doch solche Figuren finden sich einmal pro Vereinsgeschichte und nicht an jeder Strassenecke.

Dann reisst auch sportlich etwas der Faden, auch wenn der BVB lange im Schnitt noch 2 Punkte pro Spiel holt. Die Einstellung der Mannschaft oft bemängelt. Drei Siegestore in den letzten Minuten sind nicht etwa Beleg der Einstellung und des Hungers, sondern bloss Ärgernis, weil es spielerisch kaum läuft. Die Bayern stampfen alles in Grund und Boden, die Schere ist seit 2012 so weit auseinander gegangen.

Und nun steht der Verein erstmals seit 2012 Ende April mit einer Chance da, wieder Meister zu werden. Ein Taumeln der Bayern im Nürnberg löst überwiegend Frust und kein Jubeln aus. "Die Mannschaft ist leider Zauderer Favre infiziert".

Dabei ist doch eigentlich nur schwer zu übersehen, dass der BVB individuell im Vergleich zur Vorrunde nur noch ein Schatten seiner selbst ist. Alcacer nur verletzt. Witsel ein Sorgenkind, Delaney holt die Kastanien alleine auch nicht aus dem Feuer, die Aussenverteidigung Diallo/Wolf im Vergleich zu Hakimi und Pisczcek mindestens eine Klasse schlechter. Götze im Sturm zwar einsatzfreudig, aber am Ende dann körperlich einfach doch zu unterlegen, um pro Halbzeit 5-6 brauchbare Szenen zu haben – auch wenn die Klasse immer wieder aufblitzt. Akanji, Zagadou und Sancho können auch nicht permanent verbergen, dass sie erst 30 Spiele auf höchstem Niveau auf dem Buckel haben.

Aber den Frust für die Enttäuschung kriegt primär der Trainer ab, der es leider nicht schafft, die potentiellen Weltfussballer Wolf, Diallo, Delaney und Bruun Larsen so zu pushen, dass sie jeden Gegner vom Platz fegen. Favre nun Opfer seiner guten Arbeit und vor allem, Opfer seines Vorgängers. Favre kann das Klopp-Paket nicht stemmen und er wird es niemals stemmen können, weil er kein grosser Kommunikator, kein Wächter und schon gar kein Storyteller ist. Aufschlussreiche, tröstende oder einordnende Worte nach dem Debakel in München? Kaum zu hören und wenn, dann doch nicht von Belang.

Doch muss er das Paket des Jürgen Klopp stemmen? Wo sind Watzke und Zorc, die als „Wächter“ auftreten und den BVB gegen einen Feuerzeug-Wurf aus einem Block verteidigen, der „Freiheit für Sergej W.“ fordern? Wo ist überhaupt der Kampfgeist aus der Führungsriege – erschlafft? Welche Rolle nimmt Sebastian Kehl ein, der vor dem Fernseher sachlich und fair sagt, er müsse sich die strittigen Szenen nochmals anschauen. Wer signalisiert, dass der BVB das nicht mit sich machen lässt? Wer übernimmt die Architekten- und Storyteller-Rolle und konzipiert und kommuniziert, für welchen Fussball und welche Werte der BVB stehen soll? Aki wirkt bedenklich müde.

Einen 360 Grad-Leader wird der BVB nie wieder finden und die verschiedenen Aspekte müssen aufgeteilt werden. Leute wie Zorc, Kehl, Ricken, Watzke etc. müssen Dinge schultern und dem BVB das nötige Profil verpassen. Eine Chance wäre am Wochenende da gewesen und wurde vergeben. Ein wirklich beachtlicher Teil des BVB-Anhangs hängt verständlicherweise emotional und hinsichtlich Erwartungshaltung noch an Klopp und erwartet von seiner Nachfolgern ein ähnliches Profil. Und das ist nicht abzudecken und deshalb müssen wir uns davon lösen. Das heisst nicht als Konsequenz, dass jede Kritik am aktuellen Trainer nicht mehr erlaubt ist. Aber wenn Favre als Zweiter mehr Kritik abkriegt als Klopp auf Platz 17, dann ist es grotesk.

Auch unter Jürgen Klopp gab es torlose Unentschieden zu Hause, Hoffenheim, harte Pleiten und viele Final-Niederlagen. Aber Klopp hatte den Spirit, Klopp verzauberte das ganze Umfeld und am Ende waren wir trotz 4 Final-Niederlagen in Folge noch stolz.

Aber dieser Zauber ist weg und der BVB muss sich darum bemühen, ihn zurückzugewinnen. Diese Aufgabe dem Trainer zuzuspielen, nimmt den Tross um Watzke aus der Verantwortung und verdeutlicht vor allem eines: Der Krater, den Klopp hinterlassen hat, ist weiterhin nicht geschlossen und auch nach vier Jahren ringt der ganze Verein damit und hat offensichtlich kein Bewusstsein dafür und schon gar keine Idee, wie er geschlossen werden kann. Da hilft offenbar auch ein ganzer Stab von Beratern nicht.

Dass der kauzige, wortkarge, aber "zumindest" sehr erfolgreiche Lucien Favre dies ausbaden muss, ist grotesk.


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