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Selbst Putins Anhänger sind gegen diesen Krieg (Politik)

binneuhier, Duesseldorf, Donnerstag, 03.03.2022, 15:41 (vor 1388 Tagen) @ the mirrorblack

Aus der Zeit aber hinter einer Paywall

Jens Siegert in Moskau

".....Nicht einmal alle Mitglieder des Nationalen Sicherheitsrates, der in den vergangenen Jahren immer mehr zu einer Überregierung geworden ist. Stattdessen gab es dort bei einer für das Fernsehen inszenierten Sitzung am Montag vergangener Woche viele bedröppelte Gesichter: Putin ließ jedes Mitglied einzeln auftreten und seine Unterstützung der Anerkennung der beiden selbst ernannten Volksrepubliken im Donbass erklären. Es wirkte wie eine unvorbereitete Schulklasse, die der strenge Lehrer einen unangekündigten Test machen ließ. Viele Mitglieder dieses Gremiums, die doch selbst zu den Mächtigen gehören, wirkten überrascht und überrumpelt. Sie waren wohl in Putins Kriegspläne nicht eingeweiht worden.


Umso weniger wussten die unteren Etagen des Staatsapparats davon. Die russische Journalistin Farida Rustamowa arbeitet für die britische BBC und gilt in Moskau als in Machtkreisen außerordentlich gut vernetzt. Sie schreibt, alle Politiker und hohen Beamten, mit denen sie seit Putins Angriffsbefehl gesprochen habe, seien nicht nur überrascht gewesen, sondern entsetzt. Alle seien ohne Ausnahme gegen den Krieg. Nicht etwa, weil sie in irgendeiner Weise prowestlich seien, sondern weil sie diesen Krieg für eine Katastrophe für ihr Land halten. Allerdings, schreibt Rustamowa, sei niemand in den Machtzirkeln fähig oder willig, Putin zu widersprechen, geschweige denn, ihn von seinem Tun abzubringen.

Das Entsetzen über diesen Krieg teilen diese Leute mit vielen Putin-Unterstützern im Land. Menschen, die Putin im Prinzip zustimmen, dass Russland vom Westen, von den USA bedroht wird, ja, sich mit dem Westen schon längst in einer Art Krieg befindet. Menschen, die Putins Behauptung glauben, die gegenwärtige ukrainische Führung sei ein antirussisches, westlich gelenktes Marionettenregime, das 2014 nach dem Maidan nur installiert worden sei, um das "Bruderland" Ukraine gegen Russland in Stellung zu bringen. Aber selbst diese Leute verstehen den Krieg nicht. Alle hatten Putins Drohkulisse lediglich für einen Schachzug gehalten, um den Westen zu Zugeständnissen zu bewegen. Das entspricht der verbreiteten Überzeugung, dass der Westen nur diese Sprache verstehe und sonst auf Russland nicht höre.

Die Bewohner der von Separatisten kontrollierten Region Donezk kennen die Situation ständiger Angriffe bereits. Sie fragen: "Wie lange soll das noch weitergehen?"
Doch selbst diese Menschen sind davon überzeugt, dass Krieg gegen die Ukraine Wahnsinn ist. Wahnsinn, weil sich Brüder und Schwestern nicht gegenseitig umbringen sollten. Wahnsinn aber auch, weil sie nicht verstehen, wie dieser Krieg russischen Interessen dienen kann. Entsprechend stehen auch diese Menschen jetzt unter Schock.


Wut oder belagerte Festung?

Dass sie deshalb nun zu Putin-Gegnerinnen werden, ist unwahrscheinlich. Noch geben sie die Schuld nicht Putin selbst, sondern suchen nach verborgenen Gründen, warum sich der Präsident zu diesem aus ihrer Sicht so falschen, ja, fatalen Schritt entschlossen hat. Sie wollen glauben, dass er etwas weiß, dass sie nicht wissen oder nicht wissen können. Weil er zum Beispiel über besondere Informationen der Geheimdienste verfügt. Aber auch, weil der Glaube an eine grundsätzlich höhere Weisheit der Staatsführung in Russland sehr lebendig ist. Auch wäre es wohl zu schrecklich für die Weltwahrnehmung vieler, wenn sich Putin jetzt einfach als Kriegsverbrecher herausstellte.

In welche Richtung sich diese Schockstarre auflösen wird, ist kaum zu sagen, zu viele Faktoren spielen eine Rolle. Wie schnell endet der Krieg? Wie endet er? Wie viele Opfer wird es unter ukrainischen Zivilisten und russischen Soldaten geben? Erfahren die Menschen in Russland überhaupt davon, wie grausam der Krieg in der Ukraine ist, welche und wie viele Tote es gibt? Oder gelingt es dem Kreml weiter, die Mehrheit der Menschen in Russland mit seiner überragenden Propagandamaschine von seiner Sicht zu überzeugen? Welche Auswirkungen werden die Sanktionen haben? Wenn die Sanktionen Russland wirklich wehtun, kann die Wirkung unterschiedlich sein: Entweder löst es Wut auf Putin aus – oder es erzeugt Solidarität mit ihm. Leider deuten die Erfahrungen der vergangenen Jahre eher auf Letzteres".


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