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Militärische Lagebeschreibung der Ukraine (Politik)

FourrierTrans, Freistaat Sauerland, Freitag, 15.03.2024, 21:34 (vor 652 Tagen) @ Ulrich
bearbeitet von FourrierTrans, Freitag, 15.03.2024, 21:50

Ich will ungerne mit schlechteren Nachrichten hier reingrätschen, aber die Lage ist aus ukrainischer Sicht verheerend. An der Stelle empfehle ich wirklich immer u.a. den NDR Podcast "Streitkräfte und Strategien" oder die Daten des ISW (Institute for the Study of War).

Einige relevante, aktuelle Aspekte:

- Die Russen werden in diesem Jahr 2-3 Millionen Einheiten an Geschützmunition (Granaten, Werfer, FAB500-Bomben und co.) produzieren, hinzu kommen 3 Millionen Einheiten aus Nordkorea (insbesondere Artillerie). Die USA und die EU versuchen bis zum Ende des Jahres 2,6 Millionen Einheiten zu produzieren

- Aktuell läuft die zweite russische Winteroffensive auf Hochtouren, an mehreren Frontabschnitten versuchen die Russen durchzubrechen (ähnlich wie die Ukrainer im vergangenen Sommer, deren Offensive gescheitert war). Von außen betrachtet sieht die Lage in gewisser Weise "statisch" aus, als bewege sich nichts. Das ist sie aber nicht, beide Seiten führen große Mengen an Mensch und Material an die Front. Von heute auf morgen kann es hier zu einem "Dammbruch" auf der Seite kommen, die irgendwann nicht mehr in der Lage ist, diese Materialschlacht mitzugehen. Man kennt das, aus der Militärhistorie.

- Die ukrainischen Verteidigungslininen sind, aus mannigfaltigen Gründen, unzureichend und äußerst schwach ausgebaut worden. Größtenteils sind "vernünftige" Verteidigungslinien auf ukrainischer Seite nicht vorhanden, was u.a. daran liegt, dass die ukrainische Armeeführung im Sommer/Herbst des vergangenen Jahres komplett auf "Offensive" gesetzt hat.
Die Russen haben hingegen über 7 Monate lang mit knapp 100.000 Reservisten Verteidigungslinien und Gräben mit teils 500 Meter tiefen Minenfeldern wie aus dem Lehrbuch ausgehoben.

- Seit zwei Jahren wird nun der Aspekt beschrieben, dass die Russen kurz vor dem Zusammenbruch stehen müssten. 500.000 russische Soldaten, 3.000 Kampfpanzer, 7.000 Kampfschützenpanzer, 5.000 Artilleriebattieren/-systeme, 1.200 Raketenwerfer, 300 Kampfflugzeuge und 300 Hubschrauber operieren aktuell in der Ukraine und der angrenzenden Region (Zahlen von Oberst Reisner). Die Manpower ist um den Faktor 2,5 höher als zu Beginn der Invasion. Das Rekrutierungspotenzial in Russland ist weiterhin hoch, der Zufluss an die Front funktioniert zunehmend reibungslos und die Truppe wird sinnvoll durchgetauscht, um Erholungsphasen zu ermöglichen.
Auf der Seite Oryx werden fotografisch dokumentierte Verluste beider Seiten sorgfältig dokumentiert. Sowohl beim Faktor "Mensch" als auch beim Faktor "Material" sieht man, dass die Verluste der Russen deutlich höher sind, sich aber im Normbereich von Faktor 3-4 bewegen, also relativ normal beim "Vorgehen" als Angreifer. Militär-statistisch betrachtet kann Russland diese Verlustzahlen noch mindestens zwei Jahre ohne größere Probleme, und unangenehmen "Auffallen" in den großen Städten, durchstehen.

- Die Ukraine benötigt akut 500.000 Mann an "frischen Kräften", um überhaupt eine Chance zu haben, die Front mittelfristig halten zu können. Unabhängig vom Material. Der überwältigende Teil der kämpfenden Truppe steht seit 2 Jahren an der VRV, ohne Erholungspausen. Diese Truppe wird, selbst mit bester Militärtechnik ausgestattet, in absehbarer Zeit kollabieren. Aus diesem Grunde streitet sich die ukrainische Führung seit geraumer Zeit über eine weitere Mobilisierungswelle im Land, das Gesetz dazu liegt aktuell auf Eis. Niemand traut sich so recht, dies anzugehen (Walerij Saluschnyj's deutliche Aufforderung zur weiteren Mobilisierung ist ihm politisch zum Verhängnis geworden). Problem hierbei: laut Eurostat sind ca. 650.000 wehrfähige Ukrainer seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen.

- Die "Taurus-Diskussion" ist völlig deplatziert. Eine Lieferung des Taurus wäre eine weitere, sehr hilfreiche militärische Befähigung für das ukrainische Militär. Aber in keinster Weise wird dieser Marschflugkörper eine entscheidenden Unterschied ausmachen, im Gesamtbild. Der militärische Erfolg, auch des Vorgehens im Feld, kann nur durch einen ganzheitlichen Kampf/Einsatz der verbundenen Kräfte ermöglicht werden, und dieser muss permanent mit den entsprechenden (Human)Ressourcen gefüttert werden. Wie oben angedeutet, fehlt es da mittleweile am elementarsten. Die Diskussion ist, sofern man denn einen echten Erfolg der Ukrainer möchte, daher nicht zielführend.
Die von Frankreich und GB gelieferten Marschflugkörper haben im übrigen auch nicht signifikanten Einfluss genommen, aufgrund des oben beschriebenen Aspektes, die Versorgungslinien der Russen funktionieren reibungslos. Nur deswegen können sie überhaupt aktuell derart in die Offensive gehen.

- Diese Lagebeschreibung ist den Sicherheitsapparaten der europäischen Hauptstädte (und D.C.) durchaus bewusst. Auch wenn man dies ungerne in der Öffentlichkeit platziert und die abendlichen Nachrichten weiter vom bevorstehenden Zuammenbruch der Russen sprechen. Dass aber die Panik zunimmt, sieht man ganz deutlich an Macron und Scholz. Es kommt nicht von ungefähr, dass Macron das angesprochen hat, was er angesprochen hat. Man hat massive Befürchtungen, dass die Russen bis zum Sommer in der Mitte des Landes stehen werden und sich dementsprechend weitere Menschen auf die Flucht begeben (~10 Millionen als Schätzwert).

- Recherchen der NYT zum Thema " Einsatz taktischer Nuklearwaffen": der breiten Öffentlichkeit ist nicht bewusst, wie offensiv Putin mit diesem Thema kokettiert. Es gibt neben dem Bericht der NYT weitere, relativ eindeutige Indizien dafür, dass ausschließlich das aggressive Einwirken der Amerikaner (mutmaßlich auch der Chinesen) einen Einsatz kleinerer, taktischer Nuklearwaffen verhindert hat.
Im Oktober 2022 stand man vor einem "russischen Dünkirchen" in Cherson. 30.000 russische Soldaten standen mit dem Rücken zum Dnepr, vor ihnen eine sich in der Offensive befindende ukrainische Armee. Die Lage der russischen Verbände war völlig aussichtslos, die verbliebenen drei "rettenden" Brücken über den Fluss standen unter Dauerbeschuss von HIMARs und dementsprechend kurz vor ihrer Zerstörung. Von jetzt auf gleich kommt es dann zu einer Situation, in der das Feuer der HIMARs von ukrainischer Seite eingestellt wird, die Bodentruppen ihr Tempo verringern, und 30.000 russische Soldaten incl. 2.500 Fahrzeugen seelenruhig in der denkbar exponiersteten aller Lagen über den Fluss zurückweichen. In genau dieser Lage war die große Sorge im Weißen Haus, was passieren würde, wenn man die Russen hier vernichtend schlagen würde, Putin den Brückenkopf Cherson verliert und somit ein ganz eindeutiges Momentum schaffen könnte, dass dann nicht nur das Hinterland von Cherson, sondern auch die Krim fiele (stattdessen versucht man lieber weiter die Strategie "boiling the frog", also den Russen langsam im Kochtopf verbrennen lassen). Eindeutig gab es hier Absprachen zwischen der US-Regierung und Kiew, um diese Situation nicht entstehen zu lassen. Putin hatte hier den Finger schon auf dem Knopf.


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