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Generationsfrage ? (Fußball und Sport allgemein)

medvet09, Mayen, Montag, 09.09.2019, 14:10 (vor 2304 Tagen) @ Smeller

Und aus diesem Grund wird bei uns niemals sowas wie Patriotismus aufkommen. Immer muss man mit vollen Hosen rumlaufen, dass irgendjemand irgendetwas falsch versteht, obwohl derjenige das aus dem Kontext reißt. Wisst ihr, wie wir dieses Stigma ablegen? Indem wir selbst endlich mal darauf scheißen, was der Rest der Welt in ihrem Boulevard schreibt. Das interessiert die vllt beim ersten und noch beim zweiten oder dritten Mal, aber irgendwann wird denen auch klar, dass damit abgeschlossen ist. Es fordert ja keiner, dass wir die Geschichte vergessen. Aber es sollte erlaubt sein Worte in einem anderen Kontext verwenden zu dürfen ohne gleich eins auf den Deckel zu bekommen.

Als alter Sack warte ich schon lange darauf, dass jüngere Generationen hier eine andere, unverkrampftere Form im Umgang mit der Geschichte des Landes entwickeln...

Bevor hier Missverständnisse zu meiner Person und meinen eigenen Einstellungen entstehen, ein kurzer Abriss meiner "Geschichte".

Geboren 11 Jahre nach dem Krieg wuchs ich im täglichen Kontakt mit Zeitzeugen, Verantwortlichen, auch Opfern der Nazijahre auf.
Der Vater als kleiner, unbedeutender Soldat (Jahrgang 20), den kompletten Krieg durchlebt, an fast allen Fronten, in russischer Gefangenschaft bis 1950 - absolut traumatisert und früh mit 52 Lebensjahren, auch an den Spätfolgen, verstorben.
Der Großvater, unangepasst, aufmüpfig, verbrachte 9 Monate in Sachsenhausen - v.a. weil er Kriegsgefangene als Menschen behandelte, ihnen mehr Essen als vorgesehen zusteckte. Ein kritischer, oft deshalb übel gelaunter Beobachter der Entnazifizierungen...
Ein Onkel aus der anderen Familienhälfte, SS-Offizier, unbelehrbar - mein Hassbild, die Fratze die blieb, die in den 60 - 70ern wieder die großen Töne spuckte, dick, fett, feist...

Dazu die vielen anderen - Weggucker, wir konnten doch nichts machen, du hättest dich auch angepasst, wer wollte schon an die Wand gestellt werden...
Juden gab es ja keine im eigenen Umfeld...


Ich habe als 13 Jähriger einen Schüleraustausch nach Nordfrankreich gemacht, in eine Gegend, wo die Generation meiner Väter und auch Großväter zweimal gewütet hatte, wo es Soldatenfriedhöfe bis zum Horizont gibt. Es gab dort Begegnungen voller Hass, mit Vätern der Freunde der Austauschpartner, mit Veteranen, die unseren deutschen Akzent erkannten.

Für mich als Kind extrem verstörend in Sippenhaft genommen zu werden, verantwortlich gemacht zu werden für all die Gräuel.
Ich fühlte mich als Balg dieser Nazis und kehrte heim mit Fragen, mit Vorwürfen, mit unerbittlicher Neugier, mit Penetranz - die Alten haben noch Jahre später gesagt: die Fahrt nach Frankreich hat dem Jungen nicht gut getan...


Dieses Land, unser Land hat mehr schlecht als recht seine Lektion gelernt und aufgearbeitet. Aber im Gegensatz zu Italien, zu Japan - es gab eine Aufarbeitung.

Mich hat es immer mit Stolz erfüllt, wenn hier, hier bei uns, darauf geachtet wurde, dass auf ganz vielen Ebenen Wert auf Demokratie, Meinungsvielfalt, Toleranz gelegt wird. Dass dieses Land, mit dieser ja absolut ekeligen Vergangenheit, seine Lektion gelernt hat, Rassismus, Menschenverachtung keine Chance erhält - auch wenn, ja auch wenn so im Grunde alberne Dinge dabei herauskommen, wie "Vollgas geben" gehört nicht plakativ in ein Stadion dieses Landes.

Aber, dies ist meine Geschichte, die Geschichte meiner Generation, zumindest die Geschichte derer, die Fragen gestellt hatten, die sich geekelt hatten vor Vätern, Onkeln, Lehrern, usw.

Ich mag nicht darauf eingehen, was es in mir hervorruft, wenn Angehörige der Generation meiner Kinder den Holocaust leugnen, wenn Menschen in diesem Land dumpfen Parolendreschern hinterherlaufen, Menschen, die es ausformulieren an unseren Grenzen auf Schutzsuchende zu schiessen...

Ihr Jungen, entwickelt einen unverkrampften Weg mit der Vergangenheit umzugehen, einen selbstbewussten, einen, der euch nicht in Sippenhaft nimmt - aber einen Weg, der all das Vergangene wach und präsent hält - einen Weg, der nicht in Lethargie, und "es läuft schon" mündet, sondern voller Zorn und Widerstand ist, wenn das leider ewig Gestrige wieder hochkocht, aus den Löchern kriecht.


Vor ein paar Wochen hatte ich, im Rahmen eines Naturschutzprojektes, in Wroclaw (ehemals Breslau) zu tun. Meine Frau und ich waren privat bei einer polnischen Familie untergebracht. Einer Familie, die von Stalin - nach der Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus Schlesien - aus dem Gebiet östlich des Bug (heute Weißrussland) dorthin deportiert wurde.
Es gab lange Gespräche, bis tief in die Nacht, über den Frieden in Europa, über all den dummen Nationalismus in Polen, in Deutschland - es liefen die Kinder unserer Gastfamilie um uns herum, ohne Berührungsängste, ohne Ressentiments. Die wenigen polnischen Brocken von uns, die wenigen deutschen Brocken dort, das wenige Englisch, es war eine Atmosphäre, wie sie in Jahrhunderten dort wohl nie in der Konstellation möglich war.

Freiheit, Frieden, Achtung des Anderen,all das ist so ein hohes und so ein zerbrechliches Gut - es gibt eigentlich nichts außerhalb des eigenen, kleinen Egobereiches, was so schützenswert ist.


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