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Vergleich mit anderen WMs (WM / EM aktuell)

mulcohol, Sonntag, 18.12.2022, 07:34 (vor 498 Tagen) @ mulcohol

haweka hatte gefragt:
Es würde mich ja mal interessieren, wie du den Aufenthalt im Vergleich zu den vorherigen Turnieren siehst.

Diese WM ist für einen Selbstorganisierer wie mich in etlicher Hinsicht anders, sowohl in positiver als auch negativer Hinsicht.

Positiv:
- Kurze Wege: Man kann alle 8 Stadien vom Zentrum Dohas aus mit Metro oder den Shuttle-Bussen in einer Stunde erreichen, anstatt wie sonst zwischen den Spielen quer durchs Land zu fliegen. Wird in 4 Jahren leicht anders sein (wenn ich dann auch wieder dahin reise), keine 2-Städte WM (theoretisch gehört das Al Bayt-Stadion ja nicht mehr zu Doha) sondern eine drei Länder-WM in USA, Kanada und Mexiko.
- Kein Ticket-Limit von 7 Spielen wie sonst, sondern beliebig viele. Einzige offizielle Einschränkung: 4 Stunden zwischen den Anpfiffen. Aber wie ich gelernt habe, ist selbst das bei 2 Ticket-Accounts auch nur Makulatur. Hab ja selber 2 Viertelfinals an einem Tag gesehen. In der Vorrunde (weil ohne Verlängerung) wären sogar 3 oder 4 Spiele an einem Tag hinereinander gegangen, je nachdem in welchen Stadien.
- Die Eintrittspreise für mich. Hab ja erstmals aufgrund Attest vom Doc diese barrierefreie Ticket-Kategorie problemlos kaufen können. Für 13 Spiele (ca. 10 EUR Vorrunde, ca. 165 EUR Finale). Ansonsten negativ, dass die regulären Preise für Otto-Normal-Fan unerschwinglich werden. Hab von meinem brasilianischen Sitznachbarn gehört, dass einige seiner Kumpels den WM-Trip diesmal gecancelt hatten, weil sie sich das Gesamtpaket (Tickets, Flug, Quartier) einfach nicht mehr leisten können.
- Viel mehr Austausch, Diskussion und Kontakt zu Fans verschiedener anderer Nationen. Auch eine Folge einer Stadt-WM, alle sind in Doha einquartiert.
- Es ist hier mit dieser FAN-Einreisekarte vieles umsonst. ÖPNV und die Shuttle-Busse, die sehr gut organisiert sind. Zumindest hatte ich immer Glück und wirklich keinen Grund zu irgendeiner Beschwerde. Im Gegensatz zu vielen Meckerartikeln in den heimischen Medien habe den Eindruck, alle Logistik funktioniert bzw. ist manchmal sogar 'überorganisiert'.
- Keine Ausschreitungen oder Krawalle, alles friedlich. Ist jetzt nicht nur typisch für diese WM, war soweit ich weiß eigentlich immer so, seit 1998 (Daniel Nivel). Gröbste Unsportlichkeit abseits des Platzes, die ich mitgekriegt habe, war das Auspfeiffen der französischen Hymne durch die Marokkaner. Hat imho verschiedene Gründe: 1) Israel war nicht qualifiziert. 2) zu potenziellen Risikopartien (Kroatien-Serbien im VF oder Brasilien-Argentinien im HF) kam es nicht. 3) Das 'dritte-Halbzeit-Klientel' ist erst gar nicht hier. Entweder mangels Interesse an einer WM oder weil die Verbände ihre Pappenheimer zuvor schon aussortiert hatten. 4) Das Alkoholverbot (Das schreib ich übrigens nicht als für mich persönlich negativen Punkt, weil es mich echt nicht gestört hat. Ich trinke im Stadion auch daheim nicht.)
- (Klein-)Kriminalität scheint's hier gar nicht zu geben, anders als in Südafrika, Brasilien oder Russland. Wenn ich mich hier durch Doha bewege, habe ich überhaupt kein schlechtes Gefühl diesbzgl. Es herrscht hier allerdings ja auch Totalüberwachung. Überall hängen Kameras, auch vor der Zimmertür. Das muss man halt wissen und damit klar kommen. Man könnte das genauso auflisten bei den

Negativen Punkten:
- Das sind für mich in erster Linie die Quartierpreise. Absolut unverschämt, wie die das organisiert haben und was die für Wucherpreise für irgendwelche Kaschemmen aufrufen. Buchen ging nur über die offizielle WM-Quartierbuchungsplatform, und man brauchte für die Einreisekarte eine Buchungsbestätigung von Unterkunft und Tickets. Die haben tatsächlich ab 1.11. alle Nicht-WM-Touristen mal eben komplett ausgesperrt. Woanders kaum vorstellbar.
- Im Februar fing die Reiseplanung an. Zig-mal änderten sich seitdem die Bedingungen zur Einreise. Ziemlich chaotisch. Details würden hier zu weit führen. Viel wurde dann zum 1.11. komplett gekippt. Z.B. die Pflicht, irgendwelche Virus-Apps installieren zu müssen (von dieser Änderung wurde bei uns natürlich nicht mehr berichtet). Kurzum. Ich habe an einigen Stellen zuviel Geld ausgegeben, nur weil ich mich an Vorgaben gehalten hatte, die dann wieder zurück genommen wurden, und fühle mich etwas verarscht.
- In allen Stadien hatten die einen DJ, der hyperaktiv vor dem Spiel und in der Halbzeit die Arena mit einer Art Techno-Wumme (dröhnende Bässe) derart laut beschallt hat, dass ich es extrem nervig fand. Kommt vielleicht bei der Jugend gut an, aber in meinem Alter (Ende 50) brauch ich das nicht mehr. War entweder bei den letzten WMs nicht so extrem oder ich werde mit zunehmendem Alter empfindlicher.
- Es gibt keine Papiertickets mehr sondern mobile Tickets in der FIFA-Ticket-App. Schade, weil ich seit 2006 meine alle gesammelt habe. Jetzt habe ich gelesen, dass man sich ab Januar sog. Souvenir-Tickets zu seinen Spielen ordern kann. Kostet allerdings ein paar Euro extra (die FIFA brauchts ja :-), aber das werd ich aus Nostalgie wohl tun.
- Keine größeren Kameras in den Stadien. In 2010 und 2014 durfte ich noch einen riesigen Fotorucksack mit der Spiegelreflexausrüstung ins Stadion nehmen. 2018 dann nur noch eine kleine Umhängetasche mit einer Bridge-Kamera, und hier ist selbst das verboten. Es heißt 'no professional photography'. Nur eine winzige Kompaktkamera oder halt Handy sind erlaubt. Werde tatsächlich auch manchmal sonstwo in der Stadt, wenn ich meine übliche Kamera vor dem Bauch habe, von der Security, die an jeder Ecke rumsteht, nach meinem Media-Ausweis gefragt, sonst dürfe ich mit solchen 'Big Cameras' hier nicht fotografieren (ich hab ne Sony alpha7R3 und eine RX10M4, wen's interessiert). Lächerlich sowas.
- Die heimische Berichterstattung abseits der Boykott-Diskussionen. Ich bin jetzt zweieinhalb Wochen hier und hab schon die Tage geschrieben, dass ich einige negative Kommentare in den heimischen Medien, bei denen es jetzt nicht um die üblichen heiklen Themen (Regenbogenbinde, Palästina-Fahne, Arbeitsbedigungen, Korruption bei der Vergabe...) geht, arg übertrieben finde. Besonders das WM-Tagebuch auf ntv.de ist für mich Fremdschämen pur, wie die einige Dinge in die Scheiße schreiben, die bei den letzten WMs ganz genauso waren, oder an den banalsten Dinge noch irgendwas Negatives an den Haaren herbei ziehen. Damals in Südafrika war es umgekehrt. Da hätte es imho genug Negatives zu berichten gegeben, aber das war unerwünscht. Bei der ersten WM in Afrika musste doch alles superdupertoll sein. Ein Beispiel: Ich war zwischen den beiden Halbfinals um 6 Uhr früh von Kapstadt nach Durban geflogen. Zum Glück noch kein Problem. Nach dem Spiel habe ich dann einen heulenden Deutschen am Flughafen getroffen. Ihm war das hier passiert, klick. Er war erst nach Spielende gelandet, wartete auf seinen Rückflug und hatte ein paar Tausend Euro in den Sand gesetzt.
Für ein WM-Halbfinale absolut erbärmlich, aber niemand zu Hause hatte davon mitbekommen. Sowas gab es dann in 2018 übrigens auch beim CL-Endspiel in Kiev, als Britische Charter-Flieger nicht landen durften und zig Liverpool-Fans das Finale verpassten.
- Zuletzt noch zum Thema Boykott. Sonst fanden es alle cool, wenn ich zur WM reise. Diesmal musste ich mich öfters schon vor der Reise rechtfertigen, angesichts der heimischen Boykott-Diskussionen, warum ich das diesmal auch tue. Zu meinen Gründen habe ich hier in den letzten Wochen schon öfter was geschrieben. Kann ich gerne nochmal ausführlicher tun, aber nicht jetzt, sonst wird der Post noch viel länger.


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