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Siegen, Solingen, Alpträume, Messer, irrationale Angst (Politik)

Kruemelmonster09, Samstag, 31.08.2024, 00:11 (vor 477 Tagen) @ Eisen

Ich hatte eigentlich vor mich hier noch etwas länger zurück zu ziehen. Dann kamen heute Abend um halb 10 hier in Solingen die Glocken zum Gedenken an die Opfer vom letzten Freitag, was mich vergeblich mit den Tränen hat ringen lassen. Kurz danach die ersten Meldungen aus Siegen und zeitgleich direkt die ersten ekelhaften Spekulationen auf Social Media, "Ausländer!!!"

Da war es mir jetzt doch ein Bedürfnis meine Gedanken runterzuschreiben...

Mehr als eine Woche ist es nun her, dass dieser nicht enden wollende Alptraum über uns in Solingen hereingebrochen ist.

Gottseidank sind inzwischen alle Verletzte über den Berg.

Hier wurden Menschen aus unserer Mitte gerissen.
Solingen ist zwar eine Großstadt, aber eine Kleine. Hier gibt es fast immer irgendwen, der wen kennt.
So habe ich erfahren, dass eines der Todesopfer eine der Apothekerinnen aus einer Apotheke war, die ich hin und wieder besuche. Der Mann einer Arbeitskollegin war schwer verletzt. Eine Bekannte hat den Täter noch weglaufen sehen, und und und.
Viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, kannten (über Umwege) welche der Opfer.

Über Solingen und seine Lage habe ich letzte Woche viel geschrieben.
Die Stadt kränkelt seit Jahren, fast wie eine Depression. Es ist auch müssig das immer wieder zu erwähnen. Wir sind jetzt in dieser Situation und müssen damit leben, müssen es irgendwie überwinden.

In der vergangenen Woche ist viel passiert.
Der Kanzler war hier, kommt Sonntag wieder. Der Bundespräsident kommt ebenfalls Sonntag. Der Ministerpräsident war hier, zwei mal. Die Innenministerin war da.
... Die Mobs waren da.

Gottseidank sind die Mobs nicht in der Masse eingezogen wie von vielen befürchtet und 1993 passiert. Und dennoch gab es mehrere Demos der Rechten.
In einer sind sie durch unsere Stadt gezogen und haben, ohne Skrupel, ihre widerwärtigen Parolen gerufen. Auch das unsagbare "Ausländer r..." ist gefallen - sicherlich nicht zufällig in einer Straße die zu großen Teilen von muslimisch stämmigen Familien bewohnt wird.
Auch einen Zusammenprall mit Linken gab es.
... Etwas was eigentlich noch trauriger war als die ausufernden rechten Parolen (wenn auch eigentlich etwas positives) - Bürger fühlten es als notwendig (!) an, sich als Demonstration bewusst vor dem Flüchtlingsheim zu positionieren, um sich im Zweifel entgegen stellen zu können.

In der letzten Woche habe ich mit vielen Menschen über das Thema gesprochen. Der Solinger an sich ist eigentlich eher in sich gekehrt und knorrig, aktuell haben jedoch sehr viele Menschen das Bedürfnis über das Erlebte zu sprechen. Was gut tut.
Zwei Mal habe ich letzte Woche die Gedenkstätte besucht, man spricht mit den Kollegen drüber, man spricht mit den Kita Eltern drüber, man spricht mit Freunden drüber... Aktuell ist wirklich großer Redebedarf.

Was auffällt ist, dass sich die Personen die sonst immer schon eher am rechten Rand unterwegs waren, zu Beginn mitsprechen wollten und mit der Zeit stiller wurden. Andere, von denen man es nicht kannte lassen einen gewissen Alltagsrassismus aushängen, ob bewusst oder unbewusst. Der Großteil ist aber einfach nur entsetzt.

Was traurig ist, muslimische Menschen aus meinem Umfeld haben Angst. Angst vor dem Mob. Angst davor, was die in social media verbreiteten Lügen mit den Menschen machen. Angst vor dem aufkommenden Alltagsrassismus von Menschen von denen man es nicht kannte. Angst vor den nächsten Wahlen. Angst vor dem was noch passieren könnte.

Am Sonntag wird nun auch in unserer Partnerstadt gewählt, in Aue. Laut letzten Umfragen holen AfD und "freie Sachsen" dort zusammen 34%.
Menschen haben Angst vor dem was fremd ist. 2011 hatten 1,8% der Menschen im Erzgebirgskreis einen Migrationshintergrund. In Solingen sind es 38%. Trotz des Anschlags habe ich keine Angst vor fremd aussehenden Menschen. Wir leben hier friedlich zusammen...
Gerne würde ich den Menschen im Aue etwas von ihrer irrationalen Angst vor Fremden nehmen.

Ich will mich nicht schon wieder in endlos langen Nachrichten über meine Gedanken hier verlieren...
Diese Wunde in unserer Mitte wird noch lange klaffen. In den Politikeraussagen der letzten Woche, sowie in diversen regionalen und überregionalen Medien war immer wieder die Frage, "wieso immer wieder Solingen?" Gleichzeitig wurde immer wieder betont, dass "der Solinger" schon so oft wieder aufgestanden sei und es jetzt bestimmt auch "wieder schaffe".

Tja... Schaffen wir das? Irgendwann bestimmt. Der Weg dahin wird aber immer steiniger und härter.

Vergesst Solingen bitte nicht.

Lasst Solingen bitte nicht zu einem Schlagwort in Diskussionen um Sicherheit und Terror verkommen. Lasst Solingen bitte, bitte, bitte nicht zu einem Schlagwort der Rechten verkommen.
Sondern versucht bitte mit Solingen die liebenswerte leider ein wenig in die Jahre gekommene, an vielen Orten verdreckte und verkommene, kleine Großstadt zu verbinden, die doch auch so viele schöne Orte hergibt. Mit Menschen die meistens ziemlich knorrig sind, aber oftmals das Herz am rechten Fleck haben und unterstützt sie in ihrem harten Kampf zurück.

Ich will nicht unverschämt sein, aber noch eine Bitte:
Bleibt nett zueinander.


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