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Würdet ihr für euer Land kämpfen? (Politik)

Will Kane, Biosphärenreservat Bliesgau, Mittwoch, 02.03.2022, 14:35 (vor 1392 Tagen) @ AGraute

Man liest ständig, dass die Männer in der Ukraine zurückbleiben um für ihr Land zu kämpfen.
Ich kann diese Einstellung aktuell überhaupt nicht nachvollziehen.
Im Ticker des Tagesspiegel war heute zu lesen, dass sich 70 Japaner freiwillig gemeldet haben um ebenfalls in der Ukraine zu kämpfen.

Ich bin in Frieden aufgewachsen und musste mich nie mit Krieg befassen. Mir wäre aber definitiv nichts so wichtig wie das Leben meiner Familie (mich eingeschlossen). Wenn es also zu einer akuten Bedrohungssituation kommen würde, würde ich versuchen meine Familie einzupacken und möglichst schnell in Sicherheit zu kommen.
Mein Land oder meine Besitztümer wären mir scheißegal. Falls man nicht mehr zurück kann fängt man halt irgendwo von neu an. Das ist mir aber lieber als das meine Kinder ohne Vater aufwachsen.

Ich weiß nicht ob es fehlender Nationalstolz oder schlicht die Meinung ist, dass Waffen keine Probleme lösen. Eventuell auch einfach Angst, aber ich kann wie gesagt die Einstellung aktuell nicht nachvollziehen.
Wie steht ihr dazu?

Nicht nur Du bist im Frieden aufgewachsen. Nur gibt es Frieden nicht zum Nulltarif. Und was ist Frieden ohne Freiheit?

Ich habe meinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr Anfang/Mitte der 70er absolviert. Wie Millionen anderer Wehrdienstleistender vor, mit und nach mir auch habe ich das ‚Feierliche Gelöbnis‘ abgelegt.

Der Text dieses Gelöbnisses lautet:

„Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“

Als Zeit- oder Berufsoldat legt man kein Gelöbnis, sondern einen Eid ab. Der Text beginnt dann entsprechend mit „Ich schwöre…“

Ich war 18, legte gerade mein Abitur ab, wohnte bei meinen Eltern. Ich hatte zwar häufig wechselnde Freundinnen, aber keine feste Beziehung geschweige denn Kinder.

Politisch war ich (auch ein wenig dem damaligen Zeitgeist geschuldet) sehr extrem orientiert. Eigentlich hätte ich nicht zur Bundeswehr als Teil des von mir damals abgelehnten ‚Systems‘ gehen dürfen. Wobei ich im Grunde gar kein politischer Extremist war, sondern eher von der Hippiebewegung beeinflusst. Dass ich aber im Prinzip den Jungsozialisten nahestand war mir zu dieser Zeit noch nicht so klar und erst recht nicht, dass im Grunde meines Herzens ein biederer Sozialdemokrat in mir schlummerte. Oder ganz tief im Inneren, ein ‚Scheißliberaler‘.

Es hätte zwei legale Möglichkeiten gegeben, dem Wehrdienst zu entgehen (Wehrdiensttauglichkeit vorausgesetzt):
Zum einen die freiwillige Verpflichtung für zehn Jahre bei einer Organisation wie dem Roten Kreuz oder dem THW bei festgelegten Mindestdienststunden pro Jahr (wobei mir diese Möglichkeit gar nicht so sehr im Bewusstsein war).
Zum anderen die Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen, die man vor einer eigens dafür vorgesehenen Kommission glaubhaft begründen musste. Wurde man anerkannt, dann hatte man einen Wehrersatzdienst zu leisten, der länger dauerte als der Wehrdienst. Wurde man nicht anerkannt, musste man zur Bundeswehr.

Ich habe mir die Entscheidung damals wahrlich nicht leicht gemacht, was ich tun sollte. Am Ende war für mich vor mir selbst folgender Gedankengang entscheidend:
Lehne ich Gewalt zur Lösung eines Konfliktes tatsächlich ab? Kann ich für mich persönlich zum Pazifisten erklären und gleichzeitig die Befreiungskrieger in der sog. 3. Welt unterstützen? Gestehe ich dem Staat Israel ein Selbstverteidigungsrecht zu und würde ich mich dann (gesetzt den Fall, ich wäre Israeli) dieser Selbstverteidigung entziehen wollen? Überhaupt die gesamte Notwehrthematik. Würde ich persönlich die linke Wange hinhalten, wenn mich oder einem mir nahestehenden Menschen jemand auf die rechte schlägt? War der Krieg nicht der einzige Weg, einem verbrecherischen Diktator wie Hitler und einem entmenschlichten System wie dem des Nationalsozialismus das Handwerk zu legen?

Ich konnte abwägen wie ich wollte, es lief immer darauf hinaus, dass ich in Notwehrsituationen sehr wohl zur Waffe greifen würde, um mein eigenes Leben oder das eines anderen zu schützen. Und nur, um nicht zur Bundeswehr zu müssen, wollte ich im Rahmen einer Wehrdienstverweigerung meine eigentliche Überzeugung nicht verleugnen. Das wäre von Grund auf unehrlich gewesen mir selbst und anderen gegenüber.

Und Notwehrsituationen gibt es nicht nur für ein Individuum, sondern auch für große Gemeinschaften und auch für einen Staat.

So bin ich denn zu Bundeswehr, legte mein „Feierliches Gelöbnis“ ab und hätte im Ernstfall auch mit der Waffe in der Hand gekämpft.

Meine damalige Entscheidung habe ich immer als richtig empfunden. Und ich würden sie heute wieder so treffen, auch als Ehemann, Vater und Großvater.

Franzosen und Polen haben im Zweiten Weltkrieg im Untergrund auch bewaffneten Widerstand gegen die deutsche Besatzung geleistet. Und das war gut so.

Man kann nicht davonlaufen, wenn es um Sein oder Nichtsein geht. Irgendwann stehe ich wieder vor der Entscheidung Davonlaufen oder Kämpfen.


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