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[Politik] SPD Parteitag in Dortmund (Sonstiges)

Fluegelflitzer, Göttingen, Dienstag, 27.06.2017, 19:05 (vor 2492 Tagen) @ Jurist81

Hast du dir die Zahlen angeschaut? Wie viel Geld benötigt der Staat deiner Meinung nach?


So viel, wie nötig ist, um die dringend nötigen Investionen in Bildung (inklusive Weiterbildungen bei Erwachsenen) und Infrastruktur tätigen zu können und ein solides und gerechtes soziales Sicherungsnetz aufrecht zu erhalten.


Zu 1 und 2) Keine Frage, Investionen in Bildung und Infrastruktur sind notwendig und das Geld dafür auf Bundesebene aber auch da. Das soziale Sicherungsnetz sollte ja grds. nicht durch Steuern getragen werden, dafür haben wir ja die Sozialversicherung. Gleichwohl werden Renten und Pflege durch Steuern finanziert, was insbesondere für Beamte und Freiberufler eine mE erhebliche Benachteiligung ist, die bei der "Rentenpflicht für alle"-Diskussion immer unter dem Teller fällt.

Eine Sozialversicherung, in die man erstmal gut einzahlen muss, was unter anderem sehr von deiner kindlichen Bildung, späteren Weiterbildungschancen und deinem ökonomischen Hinergrund abhängt. Das für ausreichende Maßnahmen auf der Bundesebene genug Geld vorhanden ist, davon bin ich nicht überzeugt und von den Mitteln der Kommunen brauchen wir garnicht reden.

So viel mehr muss es auch garnicht sein, es geht mir mehr darum, das Steuersystem so anzupassen, dass Geringverdiener und Mittelverdiener nicht mehr so stark belastet werden und die Belastung mehr auf die Schultern gelegt wird, die sie tragen können. (Sprich die obersten 10%, an die gut 40% des Einkommens und 60% des Vermögens gehen) Selbst der IWF bemängelt in Deutschland die überproportionale Belastung von geringen Einkommen und fordert dringende Investitionen, sowie policies, welche die Unter- und Mittelschicht entlasten und der größten Vermögensungleichheit in der Eurozone entgegen wirken. Die OECD fordert genau das Selbe.


Und genau hier haben wir das Problem: Deine Aussage ist unscharf. Unabhängig von der Definition des Begriffs "Geringverdiener" zahlen die unteren 50% der Steuerzahler zusammen gerade mal 5% der Einkommenssteuereinnahmen, kurzum: nahezu nichts. Durch eine stärkere Belastung der oberen 50% könnte man diese also gar nicht entlasten.

Du bezahlst aber nicht nur Einkommenssteuer, sondern noch andere, die Geringverdiener wesentlich stärker belasten. So zum Beispiel indirekte Steuern wie Mehrwert, KFZ, Energie, etc. Außerdem zeigen diese Zahlen doch auch, dass hier eben großes Potential besteht, schon mit geringen Anpassungen signifikante Mehreinnahmen zu erzielen, die in Investitionen gesteckt werden könnten, die langfristig Faktoren bekämpfen, die zu steigender Ungleichheit beitragen. Ich will ja garnicht das Geld mit der Schubkarre von den Reichen wegholen und beim Arbeitsamt als Geschenk verteilen.


Tatsächlich zahlen die oberen 5% bereits 42,4% der gesamten Einkommensteuereinnahmen. Quelle

Aber wenn es um Vermögensungleichheit geht, dann geht es ja nicht primär um Einkünfte sondern um Vermögen. Wenn wir das stärker belasten wollen, greift meine obrige Frage wieder. Aus welchem Grund? Ungleichheit? Ernsthaft? Geht es allen besser, wenn alle gleich viel (odr wenig) haben? Oder ist es nur wichtig, dass der andere nicht mehr hat? Das wäre für mich Neid.

Dass ökonomische und soziale Ungleichheit sehr wohl Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen eines Staates haben und es starke Daten für die These gibt, dass es Menschen in gleicheren Ländern bessern geht(physisch und psychisch), ist mehr als eine linke Spinner-Fantasy. Ich empfehle dir dazu mal The Spirit Level von Wilkinson und Pickett oder wahlweise einfach mal ein paar Psychology Journals zum Durchstöbern.
Aber darum solls jetzt hier nicht gehen. Rein ökonomisch gesehen kann man argumentieren, dass ein hohes Maß an Vermögensungleichheit wirtschaftlich negative Folgen hat. Große Vermögen sind in gewisser Weise einfach nur Geld, dass nicht zirkuliert und am Wirtschaftskreislauf teilnimmt. Es macht daher schon Sinn, dass einige Ökonomen es als brach liegendes Kapital ansehen, dass man auf die ein oder andere Weise anzapfen sollte, um es volkswirtschaftlich nutzbar zu machen.
Studien zeigen auch, dass ein hohes Maß an Ungleichheit das Wachstum hemmt und andersherum, dass Erhöhung der Spitzensteuersätze keine negativen Konsequenzen fürs Wachstum haben. Joseph Stiglitz hat hierzu ein paar gute Journalartikel. So wie du es schreibst, gehe ich davon aus, dass du der einfachen These zustimmst, dass höhere Ungleichheiten einfach nur ein Zeichen eines für alle wachsenden Kuchens sind und das jeder Versuch, die Stücke anders zu verteilen am Ende für alle schlecht wäre. Das ist ja das zentrale Mantra des Neoliberalismus und ich denke, es gibt mittlerweile genug Daten um zu sagen, dass dies schlicht und einfach falsch ist und die Folgen (ökonomisch, politisch, gesellschaftlich) jahrzentelanger Sparkurse und wachsender Ungleichheit kann man mittlerweile in vielen Ländern beobachten.
Man sollte auch nicht außer Acht lassen, welche folgen ökonomische Ungleichheiten für die politsche Gleichheit haben. Hierzu empfehle ich mal Martin Gilens oder im deutschen Konext Armin Schäfer vom MPI, der vor Kurzem im Auftrag der Bundesregierung eine Studie für den Armuts- und Reichtumsbericht durchgeführt hat. Da seine Ergebnisse aber dann doch zu heikel waren, hat man seine Arbeit dann doch wieder aus dem Bericht rausgestrichen.

Inequality and Economic Growth - Stiglitz

Responsivität des Deutschen Bundestages - Schäfer


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