Ein Beispiel aus Trainersicht zum Mitentscheiden (BVB)
Ich kann eure beiden Punkte verstehen und will einmal ein Beispiel geben.
Ich bin Trainer einer D-Jugend. Wir gehören zum Favoritenkreis der Liga und haben letztens gegen ein Team aus der unteren Tabellenregion gespielt, das zuvor teilweise sehr deutliche Niederlagen gegen unsere Mitkonkurrenten kassiert hat. Es gibt bei uns nicht wie in der Bundesliga ein relativ ausgeglichenes Feld, bei dem an günstigen Tagen jeder mal jeden schlagen kann. In der Regel ist es bei uns ne 2-Klassen-Gesellschaft, bei dem die 2. Klasse aber meist 3-4 Klassen schlechter ist als die Favoriten. Der Sieger ist bei den ungleichen Duellen also meist schon vorher klar.
In der D-Jugend spielt man bei uns auf Kleinfeld mit 7
Feldspielern und 1 Torhüter. Normalerweise spielen wir ein
3-1-2-1 oder 3-2-2, selten ein 2-3-2 (bzw. 2-1-2-2), je nach
Gegner. Hier hatten wir uns dafür entschieden ein sehr offensives
2-1-4-0 zu spielen, also mit 2 Verteidigern, einem defensiven und
4 off. Mittelfeldspielern, ohne echte Spitze. Ziel war es den
Gegner durch ein offensives Pressing kaum aus der eigenen Hälfte
kommen zu lassen und immer wieder schon bei den Abstößen den Ball
zu erobern. Die Gefahr bestand natürlich, dass die 4er Linie
überspielt wird, wir nur noch 2 oder 3 Spieler hinter dem Ball
haben und so überrannt werden könnten. Aufgrund der Qualität des
Gegners haben wir diese Gefahr als vertretbar eingeschätzt und
den Offensivspielern eingetrichtert, dass sie in einem solchen
Fall mit aller Kraft nach hinten arbeiten müssen.
Wir traten in Bestbesetzung an und hatten an dem Tag nur 2
Wechselspieler, deren Qualität etwas hinter den Stammspielern
abfällt.
Das Spiel startete mit einer Überraschung. Eine verunglückte Flanke des Gegners fand als Bogenlampe den Ball ins lange Eck, 0:1 nach 2 Minuten. Danach ging unser Plan voll auf. Wir übernahmen die komplette Kontrolle des Spiels, es gab Torchance um Torchance und der Gegner kam kaum noch aus dem eigenen Drittel, geschweige denn über die Mittellinie. Gefühlt hatten wir 80% Ballbesitz. Recht schnell gelang dann auch der Ausgleich, kurz darauf auch die Führung. Unsere beiden Abwehrspieler hatten quasi nichts zu tun.
Es entwickelte sich dann eine kleine Durststrecke, in der wir zwar immer weiter (z.T. hochkarätige) Chancen hatten, aber der Ball einfach nicht ins Tor wollte. Etwa 10 Minuten vor der Pause wechselten wir die beiden Wechselspieler ein (Zurückwechseln erlaubt), so dass sie bis zur Pause ihre ersten Minuten bekommen sollten. Vom Platz gingen 2 unserer 3 Landesauswahlspieler, der eine wirkte etwas erschöpft, der andere hatte bei einem Zweikampf etwas abbekommen. Es ging dann mit dem 2:1 in die Pause.
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STOPP // 1. ENTSCHEIDUNG
Nun also die Fragen: Wie spielen wir weiter? Das 2-1-4-0 hat
super funktioniert, der Druck war riesig, nur der Abschluss
mangelte. Weiter spielen in der Hoffnung schnell das 3. und 4.
Tor zu machen? Oder erstmal defensiver agieren um die Führung
abzusichern und dann aus dem sonst gewohnten 3-2-2 auf "normale
Art" zu weiteren Toren zu gelangen?
Jeder kann ja hier kurz aufhören zu lesen und entscheiden, wie er
reagiert hätte.
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Wir entschieden uns dafür genauso weiter zu spielen. Der Druck, den wir ausstrahlen konnten, hatte uns vollends überzeugt und wir wollten schnell das nächste Tor machen. Nach der Pause wurde es etwas unkonzentrierter wie in der 1. Halbzeit. Tatsächlich gelang dem Gegner nun entlastende Pässe hinter unsere Offensivkette. Einen davon nutzten sie 4 Minuten nach Wiederanpfiff zu einem Konter, der auch prompt das 2:2 brachte. Ein Unfall wie zu Beginn des Spiels? Oder erste Abnutzungserscheinungen?
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STOPP // 2. ENTSCHEIDUNG
Also was hättet ihr gemacht? Umstellen? Weiterspielen? Wie wird
man der Favoritenrolle am besten gerecht und wie soll sich die
Überlegenheit in Toren niederschlagen?
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Wir beließen es bei der anfänglichen Aufstellung. Auch die beiden Wechselspielerinnen waren noch auf dem Feld und sollten noch ein paar Minuten bekommen. Durch den Ausgleich kam Unruhe auf. Diese führte zu Unkonzentriertheiten und das wiederum zu Fehlpässen. Folge: Erneut wird die Reihe überspielt, erneut Konter, erneut Gegentor, 2:3. Nicht nur wir, auch die Spieler waren fast schon geschockt.
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STOPP // 3. ENTSCHEIDUNG
Was also jetzt tun? Rückstand! Es drohte eine Blamage. Wir
brachten die beiden stärkeren Spieler wieder rein. Aber was ist
mit der Formation? Es beim 2-1-4-0 lassen oder auf 3-2-2
umstellen und damit auf eine gewohnte Aufstellung?
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Eine defensivere Formation erschien uns bei Rückstand kontraproduktiv. Wir hofften auf ähnliche Effekte mit den nun etwas erholten stärkeren Spielern wie am Anfang. Das Spiel wirkte nun aber zäh. Die Spieler waren verunsichert und unkonzentriert. Die tollen Kombinationen klappten nicht mehr wie in der ersten Halbzeit. Das offensive Pressing forderte Kraft und die schwand mit fortlaufender Spieldauer. Nicht mehr jeder Weg wurde mit nach hinten gegangen. Es passierte, was passieren musste. Der Gegner macht das 4. Tor. Diese 3 Gegentore passierten innerhalb von 8 Minuten. Knapp 20 Minuten verblieben um noch irgendwas aufzuholen. An einen (eigentlich verpflichtenden) Sieg war nun nicht mehr zu denken.
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STOPP // 4. ENTSCHEIDUNG
Was tun? Den Schaden in Grenzen halten? Offensichtlich waren die
Offensivspieler nun überfordert, sauer, unkonzentriert. Man
konnte mit weiteren Gegentoren rechnen. Oder jetzt erst recht
alles nach vorn werfen um irgendwie noch die Chance zu wahren,
wenn auch fast aussichtlos, noch irgendwie einen Punkt zu
holen.
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Wir entschieden uns dann trotzdem die Formation beizubehalten. Wir durften hier einfach nicht verlieren. Die Spieler berappelten sich dann und bekamen zumindest die Konter in den Griff. Wir kamen auch wieder vermehrt zu Chancen. Die Zeit verrann so langsam. Dennoch wurden die Chancen hochkarätiger. Wir liefen mehrfach allein auf das Tor zu, scheiterten aber am Torhüter oder der Latte. Es war wie verhext, das Tor schien vernagelt. 2 Minuten vor Schluss gelang dann durch einen Fernschuss der Anschlusstreffer. Die Spieler bekamen nun Hoffnung und drehten tatsächlich noch mal auf. Dem Gegner gelang nun keine Entlastung mehr und das Spiel entwickelte sich wie in der ersten Halbzeit. Und tatsächlich gelang in der ersten Minute der Nachspielzeit erneut durch einen Fernschuss das 4:4. Große Freude bei den Spielern. Aber wir Trainer wollten noch das 5. Tor und peitschten die Spieler an. Doch durch eine erneute Verletzung eines Gegners zerrann die weitere Nachspielzeit, so dass kein weiteres Tor mehr gelang. Endstand 4:4.
Grundsätzlich natürlich toll, dass der Ausgleich noch gelang, andererseits fühlte sich das Spiel trotzdem wie eine Niederlage an, weil man in der ersten Halbzeit so unfassbar drückend überlegen war und dies auch in der zweiten Halbzeit möglich gewesen wäre, was man dann zum Ende des Spiels gesehen hat. Doch vielleicht waren sich die Spieler in der Halbzeit zu sicher oder sie hatten durch die offensive Ausrichtung zu viele Kräfte in der Rückwärtsbewegung gelassen.
Wir haben uns im Nachhinein natürlich intensiv mit dem Ablauf und den getroffenen Entscheidungen beschäftigt. Und natürlich hätten wir sagen können: Mit dem Wechseln der beiden schwächeren Spieler hätten wir erstmal defensiver agieren müssen um dann evtl. wieder aufzudrehen, wenn die Auswahlspieler wieder rein kommen. Aber das ist eben vom Ergebnis aus betrachtet. Aus der jeweiligen Situation heraus mit der drückenden Überlegenheit würde ich vermutlich wieder so entscheiden, so weiter zu spielen. Die Situation war einfach zu klar und ohne Fragezeichen in dem Moment. Dennoch nimmt man den Lerneffekt natürlich mit. Die Formation war gut, sie ist in der 1. Halbzeit voll aufgegangen. Aber sie ist offensichtlich nicht für die volle Spielzeit geeignet, da sie in der Rückwärtsbewegung viel Kraft kostet.
Was heißt das nun das Spiel am Dienstag des BVB? Darf dann jeder für sich daraus ableiten.
Antworten auf diesen Eintrag:
- Ein Beispiel aus Trainersicht zum Mitentscheiden -
CLM,
25.10.2024, 23:17
- Ein Beispiel aus Trainersicht zum Mitentscheiden - Nietzsche, 25.10.2024, 23:46
gesamter Thread:
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) -
Bembele,
24.10.2024, 21:31
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - koom, 25.10.2024, 12:59
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Scherben,
25.10.2024, 12:36
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri.“ (Sahin in Berlin), Experiment 1 -
Bembele,
26.10.2024, 12:28
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri.“ (Sahin in Berlin), Experiment 2 -
Bembele,
26.10.2024, 12:29
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri.“ (Sahin in Berlin), Experiment 2 - Bembele, 26.10.2024, 22:19
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri.“ (Sahin in Berlin), Experiment 2 -
Bembele,
26.10.2024, 12:29
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - homer73, 25.10.2024, 19:06
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - chief wiggum, 25.10.2024, 18:29
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koom,
25.10.2024, 13:37
- @Scherben: "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - koom, 27.10.2024, 00:07
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Sascha,
25.10.2024, 12:57
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) -
markus,
25.10.2024, 14:37
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25.10.2024, 14:45
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - Earl Chekov, 25.10.2024, 14:59
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25.10.2024, 14:53
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Klopfer,
25.10.2024, 16:50
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - markus, 26.10.2024, 11:42
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - Sascha, 25.10.2024, 16:08
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- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - majae, 26.10.2024, 10:25
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26.10.2024, 07:45
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25.10.2024, 23:17
- Ein Beispiel aus Trainersicht zum Mitentscheiden - Nietzsche, 25.10.2024, 23:46
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- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - koom, 25.10.2024, 15:32
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25.10.2024, 16:50
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25.10.2024, 14:45
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homer73,
25.10.2024, 19:09
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homer73,
25.10.2024, 19:09
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markus,
25.10.2024, 14:37
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri.“ (Sahin in Berlin), Experiment 1 -
Bembele,
26.10.2024, 12:28
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captain_gut,
24.10.2024, 21:51
- "Entweder du wechselst in der HZ, machst Harakiri...“ (Sahin in Berlin) - Talentförderer, 24.10.2024, 22:39
- nachher… - Murksknüller, 24.10.2024, 22:38