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Viel Optimismus und einige Oberflächlichkeit (Politik)

Jurist, Freitag, 01.11.2024, 12:12 (vor 62 Tagen) @ Scherben

Viele Beiträge in diesem Thread zeugen von oben genannten Umständen: Optimismus und eine eher episodenhafte und einzelfallempirische Betrachtung.

Vorweg geschickt, um hier keine unnötige Diskussion zu eröffnen: ich halte Trump physisch und psychisch nicht geeignet, Verantwortung für die größte Volkswirtschaft und die größte Militärmacht der Welt zu übernehmen. Ich hielte seine Wahl destabilisierend für die freiheitlich geprägte Welt, in der wir leben und ich befürchte, dass eine erneute Wahl Trumps zu einer Zunahme von internationalen Konflikten führt.

Zugleich befürchte ich, dass viele die tatsächliche Gefahr unterschätzen (wollen). Dass das Rennen eng ist, hat wenig mit Fehlermargen in Umfragen und einer tendenziellen Bevorzugung von Trump als Korrektiv der starken Unterschätzung 2016 zu tun. Und es ist auch nicht, dass die Hälfte der wahlberechtigten Bevölkerung in den USA Psychopathen und Idioten sind.

Ich habe zwei Ausgangspunkte, auf die ich die Aufmerksamkeit lenken möchte:

Die Entwicklung der US-amerikanischen Politik der Republikanischen Partei seit dem Beginn der 1990er und den typischen Zyklus vom Auf- und Abstieg von Imperien. Fangen wir mit letzterem an:

In der Geschichte der Menschheit durchlebten Staaten immer verschiedene Phasen von Zyklen (in einem komplexen Gebilde aus verschiedenen Zyklen, die sich teils überlappen und entgegenlaufen, so dass ich hier eine Verkürzung und Vereinfachung zu besseren Verständlichkeit wage):

In der ersten Phase investieren Gesellschaften stark in Bildung und Infrastruktur. Die Gesellschaft wird getragen von einem Geist des Aufbruchs („unseren Kindern soll es besser gehen“). Infolge dieses Commitments steigt der Wohlstand in diesen Gesellschaften. Dann kommt die Phase des hohen Wohlstands und einhergehend nachlassender Motivation (ganz natürlich). In dieser Phase wird ins Ausland investiert, weniger gearbeitet, und „genossen“. Die Schulden steigen und einhergehend (weil Vermögen die bilanzielle Gegenseite zu den Schulden sind) wächst das Vermögensungleichgewicht. Abstiegsängste und Vermögensungleichgewichte, erforderliche Sparprogramme zur Eindämmung der Schulden führen zu eine Erstarken von Populismus. Die Menschen suchen einfache Antworten für komplexe Sachverhalte und man sucht sich Sündenböcke (Imigrants, China, Lefties in diesem Wahlkampf). Zugleich ist da ein neuer Player, der die Nr. 1 ablösen will. Das geht nicht ohne Konflikte, die Nummer 1 hat ja was zu verlieren und will die Nr. 1 bleiben.

In dieser Phase befinden sich die USA und mE auch Europa derzeit. Der Populismus nimmt zu, die wahren Probleme werden nicht angegangen (zu viel Ausgaben, zu wenig Wachstum, daher zu viele Schulden, zu viel äußere Einflüsse, daher das Gefühl abgehängt zu sein).

Und anders als in Deutschland ist der Populismus nichts Neues. Schon im Wahlkampf zur Präsidentschaftswahl 1994 kandierten Ross Perot und Pat Buchanan gegen Bush in den Vorwahlen. Während ersterer als Independent die Wahl zu Gunsten von Clinton beeinflusste, beeinflusste Buchanan die Republikaner. Dieses dumme Arschloch war ein Nazi durch und durch und implementierte paläokonservative Einflüsse in der GOP, machte Rechtsaußenpositionen salonfähig und bereitete damit dem Boden für die Tea Party-Integration in diesem Jahrtausend, die wiederum das Fundament der Trumpisten stellen.

Und damit kommen wir zu dem größten Problem: die Demokraten und Harris haben kein Angebot für die Menschen ins Abstiegssorgen, die Inhalte sind dünn (im Wesentlichen: Trump ist ein Faschist, der die Milliardäre pämpert, wir sind nicht Trump) und die Kernbotschaft (Einigung und Zusammenhalt) wird nicht eingehalten durch Angriffe auf Trump und dessen Truppen und Anhänger.

Und daher hoffe ich, dass es für Harris reicht. Der Puerto Rico-Incident könnte helfen. Definitiv hilft die Pro-Choice-Einstellung (Harris bei Frau 14% vor Trump), aber unterschätzt bitte nicht, wie schwach der Harris-Wahlkampf ist, wie wenig Momentum sie aufbauen konnte (nach dem TV-Duell hätte Trump politisch so tot sein müssen wie Biden), und wie groß der Vorsprung von Trump bei weißen Männern ist.

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