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Viel Optimismus und einige Oberflächlichkeit (Politik)

Pfostentreffer, Freitag, 01.11.2024, 15:02 (vor 62 Tagen) @ Jurist

Ich werde hier deine Beiträge nicht gross kommentieren wie ich es auch in den letzten Monaten nicht getan habe (wie auch bei Marc) und dir auch wahrscheinlich anschliessend nicht antworten (besser für den Frieden hier), aber es sind so viele Falschinformationen und absurd-falsche wirtschaftliche und logische Suggestionen drin, dass ich gar nicht weiss, wo ich anfangen soll, es aber nicht so stehen lassen möchte.

Grundsätzlich verstehe ich schon, dass du dich an den Phasen orientierst, scheints aber weder die wirtschaftlichen noch die gesellschaftlichen Grundlagen davon wirklich verstanden zu haben. Das möchte ich hier nicht als Gesprächsgrundlage stehen lassen, deswegen einige Korrekturen bzw. Nachfragen.

Erst einmal zu den Phasen. Es gibt nicht nur die eine Art, wie sich Gesellschaften entwickeln. Deine - wie du schreibst- "Verkürzung und Vereinfachung" ist eine Entstellung der theoretischen Grundlagen. Es geht auch nicht wirklich um Staaten, sondern Gesellschaften. Die waren in der von dir angesprochenen "Menschheitsgeschichte" häufig nicht in Staaten organisiert. Schon gar nicht in kapitalistischen.

Dann scheinst du auch die einzelnen Phasen nicht richtig verstanden zu haben und vor allem deren wirtschaftliche Grundlagen überhaupt nicht. Ein Beispiel:

"In dieser Phase wird ins Ausland investiert, weniger gearbeitet, und „genossen“. Die Schulden steigen und einhergehend (weil Vermögen die bilanzielle Gegenseite zu den Schulden sind) wächst das Vermögensungleichgewicht."

Da passt natürlich nix dran bzw. ist es nicht mal eine wirtschaftliche Betrachtung. Die Aussagen sind so ungenau, dass man es nicht einmal genau widerlegen kann. Wessen Schulden steigen? Staaten, private Haushalte, Unternehmen? Zwischen wem wächst dadurch die Vermögensungleichheit? Ich hatte eine ähnliche Diskussion mit Markus letztens schon (sorry das ich keine Zeit hatte sie zu Ende zu führen), aber diese Aussagen sind so pauschal nicht korrekt. Sie sind sogar grundfalsch.

Es gibt 5 Sektoren am Markt, private Haushalte, Staat, Unternehmen, Banken und Ausland. Deswegen ist es nicht so, wie du suggerierst, dass wenn irgendwo irgendwelche Schulden (meinst Du vom Staat, von den Unternehmen oder von den privaten Haushalten?) ansteigen automatisch "die Vermögensungleichheit" wächst.

Wenn der Staat bspw. Schulden aufnimmt um dieses Geld Menschen zur Verfügung stellt, die unterdurchschnittlich vermögend sind, sinkt die Vermögensungleichheit der privaten Haushalte durch die Schuldenaufnahme. Again, reine Mathematik. Auch kann eine Person Schulden aufnehmen, die ein Vermögen hat. Dann verringert sich die Vermögensungleichheit ebenfalls. Es gibt tausende denkbare und praktische Vorgänge, in denen Schulden überhaupt keinen Einfluss auf die Vermögensungleichheit haben (bspw. wenn der Staat sich im Ausland verschuldet hat es keinen direkten Einfluss auf die Vermögensungleichheit unter privaten Haushalten im Inland). Ist aber reine Mathematik und hat mit den ganzen hier ideologisch angehauchten Argumenten nix zu tun. Es gibt ohne Schulden im Kreislauf auch kein Vermögen - und vor allem, keine wirtschaftliche Entwicklung. Kannst ja mal probieren Monopoly zu spielen, ohne vorher von der Bank Geld bekommen zu haben. Ziemlich schwierig.


"Abstiegsängste und Vermögensungleichgewichte, erforderliche Sparprogramme zur Eindämmung der Schulden führen zu eine Erstarken von Populismus."

Ob die Sparprogramme immer "erforderlich" sind, sei mal dahingestellt, häufig sind sie - unter rein volkswirtschaftlichen, aber oft auch gesellschaftlichen Gesichtspunkten - vor allem schädlich. Ansonsten stimmt der Satz natürlich und den sollten wir unbedingt Lindner und Merz sowie allen Wählern mal mit Nachdruck unter die Nase reiben: Die Abstiegsängste, Vermögensungleichgewichte und Sparprogramme führen zu einem erstarken des Populismus (und Rechtsradkikalismus, möchte ich hinzufügen) - dafür kann sogar allein die Abstiegsangst bereits ausreichen. Wenn man sie bewusst ständig mit Lügen schürt, trägt man also dazu bei.

Anschlussfrage daran sollte sein: Warum wollt ihr dann seit Jahrzehnten immer wieder Sparprogramme, schürt ständig Abstiegsängste und fördert mit allem was geht Vermögensungleichgewichte sowie andere Ungleichheiten? Auf die Antwort braucht man aber weder bei Lindner noch nem CDU'ler zuhören, es wird nur pseudmoralisches Gebrabbel ala "Arbeit muss sich wieder lohnen" und "die Deutschen müssen einfach mal "wieder richtig anpacken" sein. Volkswirtschaftlich und gesellschaftlich gibt es darauf schliesslich auch keine logische Antwort. Ist also verschwendete Zeit.

Dir persönlich stelle ich eine ähnliche: Du bist hier oft der Anwalt (hihi) für mehr Ungleichheit und das politisch Rechte. Du selber schreibst oben, dass es zu Populismus führt. Stellt sich die Frage: Warum befürwortest, unterstützt und verbreitest du es dann immer? ist das nicht sehr inkonsistent und widerspricht sich? Oder hast Du es erkannt und findest diesen Populismus gut? Gibt es noch eine weitere Möglichkeit?

Praktisches Alltagslearning für die Wahlurne daraus: Nicht die Parteien wählen, die unbedingt sparen wollen und Vermögensungleichgewichte anfeuern. Denn wie der Jurist richtig schreibt, feuert es Populismus und Rechtsradikalismus an. Schon gar nicht, wenn sie diese Dinge rein ideologisch und mit der schwäbischen Hausfrau begründet werden, die hat nämlich so gar nix mit Staatsfinanzen zu tun.

Übrigens: Das "unseren Kindern soll es besser gehen" Mantra, welches die westlichen Gesellschaften seit Jahrzehnten zusammen hält und du hier als "phasenabhängig" beschreibst, ist nicht nur durch die gewachsene Vermögensungleichheit dahin, sondern vor allem durch die Klimaerhitzung. Heute ist glasklar, dass es unseren Kindern nicht mehr besser gehen wird und unsere Enkel in einer furchtbaren Welt leben werden. Es ist auch klar, weswegen es so ist. Trotzdem leben die Hauptschuldigen in Saus und Braus (soweit sie noch leben), während die am wenigsten Schuldigen am stärksten darunter leiden und massenweise sterben und zu Flüchtlingen werden. Auch das ist ein Indikator für Ungleichheit und führt zu hoher Politikverdrossenheit (nicht nur bei uns) und somit - Populismus.

"Die Menschen suchen einfache Antworten für komplexe Sachverhalte und man sucht sich Sündenböcke (Imigrants, China, Lefties in diesem Wahlkampf)."

Nicht nur. Vor allem werden sie ihnen ständig von den entsprechenden Politikern und Medien vorgelebt und angeboten. Was auch kein Wunder ist, wenn diese Medien vor allem den Leuten gehören bzw. von denen beeinflusst werden, die diese Ungleichheit weiter verstärken möchten.

Aber trotzdem sehr interessant, dass der Satz von dir kommt. Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung. Über deine erwartbare Negativbewertung der demokratischen Kandidatin enthalte ich mich ebenfalls mal lieber:-)

Und weil du ja mit einer Literaturempfehlung geschlossen hast, schliesse ich mich mal an.

Timothy Snyder "On Tyranny". Mit (wenn ich mich recht erinnere) 20 Regeln zum Vorgehen gegen tyrannische Regime bzw. den Weg dorthin zu stoppen.


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