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Seymour Hersh zum Nord Stream-Anschlag: USA und Norwegen waren es... (Politik)

prosakind, wäre-gerne-in-Graz, Samstag, 11.02.2023, 10:27 (vor 441 Tagen) @ Mob-Jenson

So, ich habe mir das jetzt mal eine Weile angesehen. Normalerweise lässt mein Zeitmanagement ja kaum noch zu, zu antworten, daher einmal als Gesamtabwasch ein paar unsortierte Gedanken von mir.

Mit einiger zeitlicher Verzögerung haben jetzt auch die meisten Leitmedien auf den Artikel von Sy Hersh reagiert. Die Reaktion, die sich auch spiegelbildlich hier im Forum unter der Hochfrequenzschreibern, NATO-Internetkriegern und bei sonstigen Einfältigen wiederfindet, verläuft dabei in mittlerweile recht üblichen Mustern. Eine inhaltliche Auseinandersetzung findet im Grunde nicht statt. Stattdessen: ad hominem Angriffe, „framing“, Verschwörungstheorievorwürfe, strategische Naivität, methodische Anmerkungen. Vielleicht ein wenig zu den einzelnen Punkten:

Ad hominem Angriffe / „shoot the messenger“:

Der Großteil der Auseinandersetzung findet auf der Ebene der Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Nachrichtenüberbringers dar. Es zählt also nicht, was gesagt wird, sondern, wer was sagt. Problem hier: wir haben es mit einem hochanerkannten, mehrfach preisgekrönten Journalisten zu tun, der hochgradig vernetzt ist, viele Zuträger und Kontakte hat und dem es in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach gelungen ist, staatliche Verbrechen offenzulegen. Blöd nur, dass das – solange „wir [noch keinen] Krieg gegen Rußland [ge]kämpf[t]“ haben (A. Baerbock), goutiert und gefeiert wurde. Jetzt gibt es die plumbe Holzhammermethode („Der Mann ist seit zehn, fünfzehn Jahren völlig durch den Wind.“ Forumslegende U.), oder eben die subtilere Methode, einfach vorherige Charakterisierungen zu ignorieren (SPIEGEL Februar 2016 „legendäre amerikanische Enthüllungsjournalist“, SPIEGEL Februar 2023: „umstrittene US-Journalist“; ARD-Gruppe Mai 2022: „Reporterlegende“, Februar 2023: „nicht unumstritten; Kritiker werfen ihm vor, Verschwörungserzählungen zu verbreiten“, ZEIT 2019: „begnadeter Einzelkämpfer“, ZEIT 2023 „Schattenseiten eines Star-Reporters“). Mal abgesehen davon, dass die Reaktionen auf Hersh Erfüllungen wohl immer ähnlich „ungläubig“ waren, halten wir zumindest mal fest, dass der Ruf keineswegs schon jahrelang ruiniert war – sondern dass es der jetzt als Parteinahme erfundenen Veröffentlichung bedurfte.

Framing

…setzt übrigens dann ein, wenn solche Bezeichnungen „umstritten“, „Verschwörungstheorie“, gerne auch – mein Liebling – „betagt“ (Ist das schon Ageismus? Lese ich leider selten, wenn es um demente Sprechpuppen geht („Jackie, are you here?“) sich dann einschleichen, wenn es nicht um Reportagen über den Menschen an sich geht, sondern wenn damit in Berichten und Meldungen manipuliert werden soll. Aber die Trennung von „Nachrichten“ und „Kommentaren“ ist ja eh etwas, was in unserer gegenwärtigen Gesinnungsöffentlichkeit nicht gut gealtert ist.

Verschwörungstheorie – ach verzeihe, Verschwörungsideologie

Mein Lieblingsargument. Dazu zwei Ebenen. Und mein Standardsermon:
Tatsachenebene: Auf dem Meeresgrund der Ostsee liegt zerstörte Infrastruktur. Infrastruktur, die für den Austausch von Handelsgütern zweier Staaten (Deutschland/Russland) eine nicht untergeordnete Bedeutung hat. Wir wissen leider nicht viel, außer: 1. Die Infrastruktur ist kaputt. 2. Die Leitungen sind nicht von alleine geborsten, sie wurden zerstört („Die Bundesregierung geht von einer gezielten Sabotage der Pipelines Nord Stream 1 und 2 aus.“). 3. Der Aufwand, die Leitungen zu zerstören, ist so immens, dass ein staatlicher Täter vermutet werden muss („[…] insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Komplexität der Tatausführung sowie einer entsprechenden Vorbereitung [erscheint] das Agieren staatlicher Akteure wahrscheinlich“).

Also: (mindestens) ein Staat hat die Infrastruktur zweier anderer Staaten zerstört. Dies aber nicht öffentlich und nach vorher erfolgter Kriegserklärung, sondern geheim und so, dass es möglichst nicht nachgewiesen werden kann. Entsprechend gibt es auch keinen „Bekenner“, sondern nur „Verleugner“.

Klar ist mitunter auch, dass ein solches Vorhaben nicht durch eine Einzelperson durchgeführt werden kann – nicht ausgeschlossen ist es auch, dass Akteure mehrerer Staaten beteiligt waren.
Jetzt bin ich sprachlich ja nicht besonders bewandert, aber um mal einen etwas überholten Begriff zu nutzen (den vielleicht auch der ein oder andere „betagte“ Autor versteht), ich glaube „Komplott“ trifft es für so ein Vorgehen ganz gut. Google ist ja bei sowas Dein Freund und das von Oxford Languages zusammengestellte Wörterbuch definiert Komplott als: „geheime Planung eines Anschlags auf jemanden, eine Institution“. Jetzt mag nicht jeder nicht-betagte Nutzer Fremdwörter, wie würden wir „Komplott“ denn im Deutschen fassen: vielleicht „Verschwörung“?

Wie auch immer, wir haben also einen Tatsachenbestand, dessen weithin und quer durch alle Lager und Parteien anerkannte Kern mit dem Begriff der „Verschwörung“ umschrieben werden kann. Ich könnte jetzt das ganze noch einmal für „Theorie“ durchdeklinieren – möchte aber meinen Samstag auch nicht ausschließlich in Eure Unterhaltung investieren und mache es daher kurz: Jede Diskussion über den Hergang von einem Unbeteiligten muss in diesem Fall zwangsläufig auf der Ebene von Hypothesen und Theorien bleiben. Wir sind, wenn wir uns darüber austauschen möchte (ich weiß, dass ist der Kardinalfehler meines Denkens; niemand möchte sich wirklich darüber austauschen, weil nicht sein kann, was nicht sein darf und „Wir werden es vermutlich nie erfahren.“ (Mob-Jenson), also alle schon folgelogisch Verschwörungstheoretiker.
„Ach, prosakind. Das ist ein Pappkamerad. Das sind doch alte Hüte und Du arbeitest Dich an einem Pappkameraden ab. Verschwörungstheorien sind das eine, die richtige Definition ist doch Verschwörungsmythos, - denken oder -ideologie. Und wir, die Guten, dürfen doch Theorien haben. Ihr aber, ihr, die das Geschäft der Russen betreibt, ihr seid doch in Eurem verblendeten Lügenkonstrukt gefangen“.

Werden wir mal konkret und bleiben ohne Wertung. Wir wissen, dass wir nichts wissen. Wir wissen, dass wir keine Aufklärung erwarten können – weder von der Bundesregierung („Die Antwort würde sie verunsichern“ bzw. „Darüber hinaus ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form- erteilt werden können.) noch von „unseren heißgeliebten Medien“ (Thomas D.). Die können zwar Berichte journalistischen Einzelkämpfer „faktenchecken“ – anscheinend aber nicht selber ermitteln. Oder wie erklärt sich, dass die nicht-erklärte Kriegserklärung an Deutschland seit fast einem halben Jahr kein(!) Medienthema ist (und wir reden jetzt noch nicht davon, dass es auch eines der größten Klimaverbrechen aller Zeiten gewesen ist: Umweltbewegung, Hallo?).


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