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Seymour Hersh zum Nord Stream-Anschlag: USA und Norwegen waren es... (Politik)

prosakind, wäre-gerne-in-Graz, Samstag, 11.02.2023, 10:28 (vor 441 Tagen) @ prosakind
bearbeitet von prosakind, Samstag, 11.02.2023, 10:41

Trotz allem haben sich zwei Erklärungsangebote durchgesetzt:

1. Die Leitungen wurden a) unter Federführung, b) mit Hilfe oder c) unter Wissen der USA zerstört, denen sie erklärtermaßen seit Jahren ein Dorn im Auge waren. Die Zerstörung bzw. Nichtinbetriebnahme der Leitungen wurde von den USA gewünscht (unverfrorene Sanktionspolitik gegen Nordstream 2 unter Trump), die Zerstörung wurde von offizieller amerikanischer Seite angekündigt (Victoria Nuland Ende Januar 2022, Joe Biden Anfang Februar 2022), die erfolgte Zerstörung wurde von offizieller amerikanischer Seite freudig begrüßt (Nuland und Blinken) und von amerikanahen Politikern den USA zugeschrieben (Radoslaw Sikorski). Die Amerikaner hatten zudem die Möglichkeit, dies durchzuführen (NATO-Marinemanöver) Aber lassen wir die harten Fakten und werden wir verschwörungstheoretisch: Bliebe noch die verschwörungstheoretische „cui bono?“ Frage. Warum um alles in der Welt, sollte die USA das tun? Um das eigene (teure) Gas an die ehemaligen Nordstream-Abnehmer zu verkaufen? (Blinken), um das deutsch/europäische Zusammenwirken mit Rußland zu verhindern („Die Aufrechterhaltung eines starken Keils zwischen Deutschland und Russland ist für die Vereinigten Staaten von überwältigendem Interesse.“ George Friedman/Stratfor); um der eigenen America-first Wirtschaftspolitik einen entscheidenden Durchbruch zu verhelfen?

2. Russland hat die Leitungen zerstört. Häh? Die eigenen Leitungen, die mit großem zeitlichen und finanziellen Aufwand erbaut wurden und einen Großteil der staatlichen Haushaltseinnahmen sicherstellen helfen? Na klar.

Haben die Russen die Zerstörung vorher gewünscht? Angekündigt? Haben sie sich darüber gefreut? Gab es Danksagungen durch russlandnahe Poltiker? Und die Möglichkeiten hätte Russland ja auch. Zumindest unmöglich wäre es nicht, in Zeiten von NATO Manövern bis in schwedisches und dänisches Hoheitsgebiet zu fahren in einem so wenig überwachten Meer wie der Ostsee.

Ach komm mir doch nicht so: Erstens: Die Leitungen wurden doch nicht mehr genutzt.
Und zweitens: cui bono? Es denkt doch jeder, die Amerikaner waren es und somit haben die Russen einen Keil ins nordatlantische Bündnis getrieben. Nochmal: die Russen haben die eigenen Leitungen zerstört, damit jeder denkt, dass wären die bösen Amis gewesen, weil ja niemand denkt, der Russe wäre so blöd, seine eigene Infrastruktur zu zerstören. Immerhin: ein Motiv.

Wer ist hier der Verschwörungsideologe? Die Plausibilität ist für mich da ganz klar. Denn "Wenn du Hufgetrappel hörst, dann denke an Pferde und nicht an Zebras" (©FliZZa) Wo wir dann beim Punkt „strategische Naivität“ wären.

Zebra hin, Zebra her. „USA stellen klar: Haben Nord-Stream-Pipelines nicht gesprengt“ (Bayrischer Rundfunk). Ja, denn.

Letzter Punkt: Methodische Schwächen.

„Hersh beruft sich dabei auf eine einzige anonyme Quelle“ (ARD-Faktenfinder) oder „Quellen nennt er natürlich keine“ (MarcBVB). Nun ja. Zyniker würden sagen: Da hat er eine Quelle mehr als alle Medienhäuser des vereinigten Wertewestens in sechs Monaten zusammen aufgetrieben haben. Nein, so kann man das nicht sehen: Die journalistischen Prinzipien: Zwei unabhängige Quellen braucht man! Mag ja sein, aber was bedeutet das. Ich lasse staatliche Kriegsverbrechen unaufgeklärt, obschon ich zur Aufklärung beitragen kann? Und das unabhängig davon, wer meine Quelle ist? Wie viele Whistleblower werde ich finden, die von Geheimvorgängen berichten. Ist es da nicht Sache des Journalisten, zu entscheiden, wie vertrauenswürdig sein Gegenüber ist. Und dann Aufgabe der Öffentlichkeit, zu entscheiden, wie vertrauenswürdig der Autor ist? (Wo wir dann wieder bei „shoot the messenger“ wären; prosakind, so langsam verstehst Du das!) Und dass die Quelle nicht benannt wird als Kritikpunkt? Ernsthaft. Frag mal die MSA (Manning, Snowden, Assange).

Wären wir bei der zweiten im weitesten Sinne methodischen Kritik. Der! Veröffentlicht! Das! Auf! Seinem! Blog! Äh ja, und? Wenn ich nicht genau wüsste, dass bis hier kaum einer mehr gelesen hat und wenn dann aus dem Kopfschütteln eh nicht mehr herauskäme. Hier sind dann vermutlich die Wahrnehmungen des medial-politischen Komplexes so unterschiedlich, dass wir nicht mehr untereinander diskursfähig sind. Aber schwirrt nicht irgendwo im hintersten Hinterstübchen auch nur in Ansätzen die Frage herum, ob das mitunter niemand von den „großen Häusern“ veröffentlichen will? Nicht, weil es falsch ist. Sondern weil eine Kriegserklärung der USA an Deutschland vielleicht nicht zum „Manufacturing consent“ (Chomsky) passt?

An der Stelle vielleicht kurz zum Inhalt – mit dem sich ja üblicherweise nicht ausführlich auseinandergesetzt wird: Der Text von Hersh ist kein hingerotzter 160 Zeichen Tweet. Hersh nennt die verantwortlichen Planer (Sullivan, Blinken, Nuland), benennt Biden klar als Auftraggeber, nennt die ausführende Einheit (Marinetaucher aus Basis in Florida), den genauen Zeitplan (Planung ab Dezember 2021, Sprengstoffdeponierung im Juni), Details zur Ausführung im September (Auslösung durch Sonarboje), sehr umfangreiche Details zur Beteiligung Norwegens. Da fasst ja niemand überall diskutierte Einzelheiten zusammen, sondern kommt mit so vielen klaren und vorher unbekannten Schilderungen daher - der Herr müsste schon ein sehr guter und phantasiereicher Schriftsteller sein, um das alles aus dem Nichts zu generieren.

Ist das Ding fehlerfrei? Sicher nicht! Führen einzelne Fehler dazu, dass es komplett unglaubwürdig ist – ich weiß nicht.

Was aber machen wir daraus?

Wie ich gestern bei der Bundespressekonferenz erfahren habe, will die Bundesregierung nicht in Konjunktiven reden. Was eigentlich ganz nett ist, wenn man gleichzeitig die Bekanntgabe der eigenen Ergebnisse verweigert (selbst gegenüber dem Parlament als Kontrollorgan).
Wir aber sind hier ja – Gott sei Dank – nicht die Bundesregierung (sonst wäre vermutlich die Mehrheit unserer jüngeren Forumsmitglieder schon unterwegs in Richtung Wolgograd). Und da es zum Wesenskerns eines Fußballforums gehört, in Konjunktiven zu schwelgen, vielleicht hier einmal die offene Frage: Was wäre denn eine vernünftige Konsequenz, wenn sich der Kern der Schilderungen als wahr erweist? Einige Optionen:

1. Wir fragen die Außenministerin, wie man „vom Völkerrecht her“ damit umgeht.
2. Wir reaktivieren Hans-Peter Friedrich, der nach Washington fliegt und sich beschwert („„Ich habe den amerikanischen Freunden klar gesagt, (...) dass wir es nicht akzeptieren könnten, wenn die U/NSA gegen Gesetze in Deutschland verstoßen würde“.
3. Wir verhängen Sanktionen und stellen trotz laufender Verträge den Energiebezug von Angriffskriegsparteien ein.
4. Wir überlegen, ob es sinnvoll ist, Militärstützpunkte eines Staates, der einen (heimlich) angreift, im eigenen Land zu dulden.
5. Wir überlegen, ob es sinnvoll ist, in einem Militärbündnis zu verbleiben, wenn dessen Führungsmacht uns (heimlich) angreift.
Oder 6. Ist das alles gar nicht so schlimm, weil die Infrastruktur ja temporär eh nicht genutzt wurde? Und ist es nur dann ein „Bündnisfall“ und eine „Kriegserklärung“), wenn die Attacke aus Russland (auf die eigene Infrastruktur) gekommen wäre, nicht aber, wenn die USA (die fremde Infrastruktur) attackiert?


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