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Frage an Ulrich (Politik)

Ulrich, Donnerstag, 07.11.2024, 08:10 (vor 3 Stunden, 18 Minuten) @ Schoeneschooh

Moin Ulrich! Nach meinem Verständnis hast du einen gewissen Einblick in den Parteiapparat der SPD. Was mich rückblickend interessieren würde:

Gab es schon direkt nach der Wahl und bei Aufnahme der Koalitionsgespräche Stimmen in der SPD, die vor einer Koalition mit der FDP gewarnt haben und das ggf. sogar haben kommen sehen, was jetzt passiert ist? Bei Letzterem vermute ich nicht, weil der Krieg in der Ukraine da für mich die entscheidende Rolle spielt.

So weit ich Einblick habe, hatte man nicht auf dem Schirm, dass die FDP so toxisch ist. Und bei den Grünen hatte man das auch nicht. Koalitionen sind keine "Liebesheirat", sie sind Zweckverbindungen. Innerhalb dieser Koalitionen gibt es Regeln, an die sich die Partner normalerweise halten. Und man ging davon aus, dass auch die FDP das tun würde.

Nach den Bundestagswahlen gab es genau zwei realistische Alternativen. Entweder Rot-Grün-Gelb oder Rot-Schwarz. Die Koalitionen mit CDU und CSU in den beiden vorherigen Legislaturperioden hatten auf Arbeitsebene professionell funktioniert, aber es gab in der Partei und in der Öffentlichkeit eine gewisse "GroKo-Müdigkeit". Ich erinnere an "An Nikolaus ist GroKo aus!", etc., deshalb präferierte man die Ampel. Und auch bei CDU und CSU war keine sonderliche Bereitschaft vorhanden, die bisherige Regierung fortzuführen, weil man plötzlich der etwas kleinere Partner gewesen wäre.

Bedenken gab es, weil Lindner bereits einmal Koalitionsverhandlungen platzen ließ, "Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren". Man befürchtete allgemein, dass sich am ehesten zwischen der FDP und den Grünen Konflikte ergeben würden, deshalb gab es zunächst zwischen den Spitzenleuten dieser beiden Parteien lose Vorgespräche. Am Ende des ersten Treffens stand das berühmte Selfie von Wissing, Baerbock, Lindner und Habeck.

Das Problem der Ampel-Koalition war, dass die FDP von Anfang an alle Regeln gebrochen hat, die in Koalitionen normalerweise gelten. Wie eine Koalition funktionieren kann, sieht man auf Landesebene. In keinem Bundesland hat sich auch nur annähernd so etwas abgespielt, wie in der Bundesregierung. Als Beispiel kann man sich Nordrhein-Westfalen anschauen. Hier regieren CDU und Grüne zusammen, nach Meinung von Merz und Söder eine völlig unmögliche Kombination. Aktuell gibt es dort zwei Krisen. Dem grünen Justizminister Benjamin Limbach wird vorgeworfen, eine Bekannte bei der Besetzung des Postens der Präsidentin des OVG Münster bevorzugt zu haben. Zudem gibt es nach dem Mordanschlag von Solingen Kritik sowohl an der grünen Ministerin Josefine Paul als auch am CDU-Innenminister Herbert Reul. Das Haus von Paul wird mit dafür verantwortlich gemacht, dass der spätere Täter nicht nach Bulgarien überstellt worden ist, Reul wiederum hatte seine Kollegin erst deutlich verspätet über im Innenministerium vorliegende Informationen zum Tatverdächtigen in Kenntnis gesetzt. Aber in diesen Fällen ist bisher weder von CDU-Seite noch von Seiten der Grünen irgendeine öffentliche Kritik am jeweiligen Partner laut geworden, und es wurde auch nichts an die Medien durchgesteckt. Interne Probleme klärt man intern, wie es in Koalitionen üblich ist. Die FDP innerhalb der Ampel jedoch hat von Anfang an für die Galerie Opposition innerhalb der Regierung gespielt. Regelmäßig wurden interne Informationen an die Medien durchgestochen, etc. Ein Wolfgang Kubicki z.B. agierte immer wieder als Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Dr. Jekyll leitete die Sitzungen des Deutschen Bundestags, Mr. Hyde bepöbelte andere als "Spacken", etc.

Auch innerhalb der FDP gibt es massive Konflikte, der Tonfall scheint wohl teilweise ziemlich rüde gewesen zu sein. Der Spiegel beispielsweise berichtete, Volker Wissing sei wegen fehlender Geldmittel für neue Autobahnprojekte aus der Fraktion heftig angegangen worden, Ausdrücke wie "Loser" seien gefallen. Zuletzt kämpfte in der Partei wohl jeder gegen jeden. Christian Lindner beispielsweise winkte das durchaus umstrittene Rentenpaket durch, aus der FDP-Fraktion heraus blockierte es dann Johannes Vogel. Das Papier, das jetzt zum Bruch der Koalition führte, wurde von Christian Lindner ohne irgendeine Rücksprache mit Parteivorstand oder Fraktion im Alleingang erstellt. Laut Kopf und Fußzeile ist das Papier ein offizielles Dokument des Finanzministeriums, erstellt vom Finanzminister. Herunterladen konnte man es aber nicht von der Ministeriums-Homepage, sondern von der Seite der FDP. Liest man es sich durch, dann stellt man fest, dass es vom Tenor her eindeutig nicht für die beiden Koalitionspartner, sondern für die Öffentlichkeit verfasst worden ist. Das dürfte die Antwort auf die Frage erleichtern, wer es wohl dem Stern gesteckt haben könnte.

Olaf Scholz wurde zu Recht Führungsschwäche vorgeworfen. Die Frage ist aber, hätte ein in der Öffentlichkeit offensiver auftretender Kanzler den Laden besser zusammengehalten, oder wäre er ihm noch schneller um die Ohren geflogen? Die Frage kann ich nicht beantworten.


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